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2590 - Der Tote und der Sterbende

2590 - Der Tote und der Sterbende

Titel: 2590 - Der Tote und der Sterbende
Autoren: Michael Marcus Thurner
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begehen.
    Piet Rawland kommt mit wiegenden Schritten heranspaziert, legt weitere Folien vor uns nieder und hakt die Daumen beider Hände über der breiten Gürtelschnalle ein. Er spuckt dunkelbraunen Sud zu seiner Rechten hin aus. Der Kautabak verschwindet, löst sich in Luft auf. Er berührt niemals den Boden.
    Ich achte nicht weiter auf ihn. Die neuen Informationen nehmen all meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie stammen aus TALIN ANTHURESTA.
    Agrester, die mobile Sicherheitseinheit des riesenhaften Gebildes, lässt uns wissen, dass es auf der völlig vor Kälte erstarrten Kunstwelt Wanderer keinerlei Änderungen gäbe. Ein zeitweiliges Verschwinden der Halbwelt sei niemals beobachtet worden. Auch die anderen Scheibenwelten hätten sich nach Meinung unseres Berichterstatters nicht bewegt.
    »Das macht die Angelegenheit umso rätselhafter«, murmelt Perry und reicht mir die Papiere zur genaueren Begutachtung. So als hätte er die Befürchtung, neuerlich etwas im »Kleingedruckten« zu übersehen.
    Ich fühle mich satt und schläfriger als zuvor. Steambody kredenzt eine weitere Tasse Kaffee. Das Getränk belebt ein wenig. Viel zu wenig.
    Ich horche in mich hinein. Ist dieses Gefühl der Abgespanntheit etwa von außen induziert? Gibt es Einflüsse in der Schneise, in der Sektorknospe, im unmittelbaren Umfeld der hyperphysikalischen Phänomene, die unsere Widerstandskraft beeinträchtigen?
    Ich behalte meinen Verdacht vorerst für mich. Ich sehe keinen Sinn darin,
    Perry mit weiteren Hypothesen und Ideen zu überfrachten.
    Wo sind bloß diese grenzgenialen Wissenschaftler, wenn man sie einmal braucht? Was ist aus all den Kalups, Waringers, Kantors und Daellians geworden? Nur zu gern hätte ich einen von diesen Knaben bei mir gehabt, um mir wirre Ideen anzuhören und das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass zumindest ein Mensch in diesem Raum versteht, was eben vor sich geht.
    Gerate bloß nicht in Gefahr, die Vergangenheit zu verklären!, mahne ich mich. Es gibt eine Menge ausgezeichneter Forscher und Theoretiker in den Reihen der Terraner. Bloß arbeiten sie heutzutage teambezogen. Eigenbröteleien und ein allumfassendes Wissen im weiten Feld der Hyperphysik und der herkömmlichen Physik sind nicht mehr en vogue.
    Wir beenden unsere Mahlzeit. Es ist knapp nach 13 Uhr an diesem 10. Mai 1463 NGZ.
    Ich nicke Perry und Mondra zu und begebe mich zu Lloyd/Tschubai, der sich nach wie vor mit Rence Ebion unterhält. Die beiden schweigen, sobald ich zu ihnen trete. Es ist eine unangenehme Stille, die mich spüren lässt, unerwünscht zu sein.
    »Beeinträchtigen euch all diese Phänomene und Effekte in der Schneise?«, frage ich.
    »Ein wenig«, gibt Rence zur Antwort. »Ich habe ungewöhnliche Schwindelgefühle, und als wir gegen die Zugkraft der Tryortan-Schlünde ankämpften, meinte ich, mich aufzulösen. Als würde sich meine Gabe gegen mich selbst kehren.«
    Rence Ebion. Ich muss an Laury Marten denken. Sie hatte ähnliche Fähigkeiten wie dieser hoch aufgeschossene, dunkelhaarige Kerl, der kraft seines Geistes Materie desintegrieren kann.
    »Und du?«, wende ich mich an Lloyd/ Tschubai.
    »Nichts. Ich empfand gar nichts.«
    Mein Freund - meine beiden ehemaligen Freunde - gibt sich desinteressiert. Ich habe eine unnatürliche Scheu, mit ihnen über Früheres zu sprechen. Sie mögen die Geister und die Empfindungen alter Weggefährten in sich tragen; aber es ist nicht dasselbe, als würden sie leibhaftig vor mir stehen.
    Ich erkenne, dass Fellmer Lloyd die Steuerung über den geteilten Körper übernimmt. Er sieht mich prüfend an. Versucht er, meine Gedanken zu erkennen? Mich zu belauschen?
    »Kommst du mit Piet Rawland zurecht?«, frage ich Lloyd/Tschubai.
    »Wie soll ich das bitte schön verstehen?«
    »Nun - ihr seid allesamt in ES geparkt gewesen.«
    Er wirkt plötzlich in sich gekehrt. Vermutlich versucht er sich daran zu erinnern, wie es ist, Teil eines höheren Wesens zu sein, und wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig deute, misslingt es ihm. Er würde uns so gern helfen, die Superintelligenz zu verstehen. Doch er hat all das verloren. Er ist ein wiederauferstandener Toter, dem die wichtigsten Erinnerungen fehlen.
    »Piet Rawland war Bestandteil von ES«, sagt Lloyd nach einer Weile. »Ich glaube mich daran zu erinnern, dass er stets da war. Als eigenständige Lebenseinheit. Wie ein winziger schwarzer Fleck inmitten eines Gebildes aus Licht.«
    Ich merke, dass ich nicht weiter erwünscht bin. Rence Ebion und
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