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259 - Die Stunde der Wahrheit

259 - Die Stunde der Wahrheit

Titel: 259 - Die Stunde der Wahrheit
Autoren: Michelle Stern
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mein Junge. Aber sei sicher, dass du nicht ewig traurig sein wirst. Es gibt so viel zu entdecken und zu tun in Gilam'esh'gad. Du wirst auf diese Stadt aufpassen und deine Aufgaben erfüllen. Und ich die meinen.«
    Dra'nis warf sich in seine Arme. »Ich vermisse dich jetzt schon!«
    Vogler strich beruhigend über seinen schiefen Rücken. »Es ist großartig dich zu kennen, Dra'nis, Sohn von Ber'tan.«
    Der Junge schluchzte eine Weile, ehe er sich von Vogler löste. »Ich hab ein Geschenk für dich. Zur Erinnerung.« Seine Stimme war zittrig. »Ich hoffe, du denkst manchmal an mich.«
    »Ganz oft«, sagte Vogler mit seiner weichen Hydritensprache, die nie so hart klang, wie sie es musste.
    Dra'nis zog ein Messer hervor, das aus dem Schwert eines Sord'finn gefertigt war. Zahlreiche kleine Perlen und Muschelschalen zierten den Griff. »Ber'tan hat mir geholfen, es zu machen. Es ist eine traditionelle Waffe. Früher haben wir Hydriten sie einander geschenkt. Wenn Freunde weit weg mussten, aus der Stadt hinaus.«
    »Danke, Dra'nis.« Vogler schluckte. Er kämpfte gegen seine Rührung an. »Ich wünschte, ich hätte auch ein Geschenk für dich.« In den letzten Wochen hatten sie alle in einem Taumel der Euphorie gearbeitet, der erst gestern in einem Abschiedsfest in der Schlotgasse geendet hatte. Besonders Yann war überglücklich, weil er seit einer Woche von seinem Hirntumor geheilt war. Auch wenn er im Gegenzug seine Seherkräfte eingebüßt hatte.
    »Du hast mir viel geschenkt.« Dra'nis wirkte sehr erwachsen in seiner Überzeugung. Seine Augen waren ernst. »Ich werd dich nie vergessen, Vog'ler. Niemals.«
    Es dauerte, bis sie sich voneinander lösen konnten. Die anderen warteten geduldig.
    Inzwischen waren auch Gilam'esh und E'fah in den Park gekommen. Pozai'don erschien als Letzter. Er hatte noch bis eben Dienst in der Stadtzentrale gehabt.
    Ein letztes Mal strich Vogler über Dra'nis' Scheitelkamm. Dann ging er zu Clarice und Yann, während der Junge zu seinem Vater Ber'tan schwamm.
    »Ein guter Freund, nicht?«, fragte Clarice verständnisvoll.
    Vogler nickte. Er begab sich gemeinsam mit ihr zu der geräumigen Qualle, die schon auf sie wartete.
    Mit Quart'ol waren sie in die Stadt gekommen. Mit Quart'ol wollten sie wieder gehen.
    Vogler berührte eine Stelle an seiner Seite unter dem rechten Arm. Dort saß ihre »Rückfahrtkarte« - ein kleiner implantierter Peilsender, den er an der Erdoberfläche aktivieren und der ein Signal zum Mond schicken würde. Nachdem der EMP geendet hatte, war dies wieder möglich. Allerdings musste die Mondstation auch besetzt sein.
    Pozai'don drängte sich vor und schloss Clarice in die Arme. Vogler gab er anschließend die Hand, wie er es unter den Menschen beobachtet hatte. »Lebt wohl. Danke für eure Hilfe.«
    »Lebe auch wohl, Wächter. Und denk daran, keine eigenmächtigen Entscheidungen zu treffen.« Unter Voglers strengem Blick zuckte der Wächter leicht zusammen.
    »Ich werde mir Mühe geben. So wie es aussieht, hattest du ja recht mit Korr'ak. Er hat die Stadt seit seiner Aussetzung nicht mehr belästigt.«
    »Ich hoffe, er wird es nie wieder tun.«
    »Im Notfall habe ich ja noch deine Waffe.« Pozai'don hatte großen Gefallen an der Pflanzenwaffe gefunden und nahm sie oft mit sich. Auch jetzt lag sein Arm über dem Gurt, der sie an seinen Rücken presste. Die Augen des Wächters blitzten auf. »Ich wünsche euch Glück. Bringt der alten Heimat das Wissen der Meere.« Seine Hand wies auf die Säckchen mit Datenkristallen, die sowohl Vogler als auch Clarice bei sich trugen.
    Vogler nickte. Er sah zu Quart'ol, der bereits am Eingang der Qualle stand. Yann wartete ungeduldig neben ihm. Der Grauhaarige schien nur fort zu wollen. Er strahlte schon seit Tagen allein bei der Vorstellung, endlich nach Madagaskar zurückzukehren.
    »Steigen wir ein. Der Himmel wartet auf uns. Und vielleicht auch der Mars.« Glück und Hoffnung überschwemmten Vogler. Er warf einen letzten Blick durch den Park - einen Großteil davon hatte er mit eigenen Händen gepflegt und bepflanzt. Es war ein guter Ort geworden.
    Clarice fasste nach seinen Fingern.
    Gilam'esh und E'fah hoben grüßend die Hände. Beide hatten sich gestern beim Festbankett im Schlotweg ausführlich von ihnen verabschiedet. Vogler hoffte, dass die beiden ihren Weg fanden.
    Gemeinsam mit Clarice und Yann Haggard stieg er in die Qualle. Quart'ol lenkte das bionetische Gefährt.
    »Wirst du diese Stadt vermissen?«, fragte er Clarice.
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