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258 - Chronik des Verderbens

258 - Chronik des Verderbens

Titel: 258 - Chronik des Verderbens
Autoren: Michelle Stern
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Clarice war dafür gewesen, den Kraken zu töten, doch die Verwachsenen der Stadt hatten sie und Pozai'don überstimmt. Clarice richtete sich im Gegensatz zu Pozai'don nach diesem Entschluss. Trotzdem empfand es Vogler als bedauerlich, dass sie in diesem Punkt nicht einer Meinung waren.
    Egal, was wir auf der Erde alles teilten, ich werde nie vergessen können, dass sie keine von uns ist. Keine aus dem Wald. Der Gedanke erschreckte Vogler. Er hatte geglaubt, den alten Konflikt zwischen Städtern und Waldbewohnern zumindest für sich gelöst zu haben. Doch an Punkten wie diesem spürte er deutlich, dass Clarice nicht nur anders dachte als er, sondern dass sie auch anders fühlte . Ihr fehlte die innige Verbindung, die Vogler zu allen Lebewesen hatte. Als Städterin war sie eine Anhängerin des kausalen Denkens, das sich an Ergebnissen orientierte. Vogler dagegen verstand die Welt als ein zusammengehöriges göttliches System und dachte holistisch.
    »Wo ist Yann? Geht es ihm besser?«, lenkte er ab.
    Clarice trat an das Fenster des Labors und sah hinaus auf die glänzenden silbernen Fischleiber, die sich vor der durchsichtigen bionetischen Wand drängten.
    »Yann geht es gut. Er schläft wieder. Seine Heilung ist in der kritischen Phase, aber ich bin guter Dinge. Die Quantaskugel, die ich in seinen Tumor gesetzt habe, leistet hervorragende Arbeit. In wenigen Wochen wird er vollständig genesen sein.«
    Die Quantaskugel der Hydriten war ein medizinisches Meisterwerk, deren Bedienungsanleitung Clarice mit Pozai'dons Hilfe in den Speicherkristallen der Bibliothek gefunden hatte. Von dieser auf Chimären aufgebauten Substanz wurde der Tumor von innen heraus zerstört. Leider erforderte der Prozess eine zusätzliche Strahlenstimulation von außen. Es waren unzählige Messungen und Aufnahmen notwendig, damit der Tumor punktgenau entfernt werden konnte und nicht das gesunde Gewebe um ihn herum in Mitleidenschaft gezogen wurde.
    Zurzeit litt Yann unter diesem Prozess. Clarice gab ihm ein starkes Schmerzmittel, das ihn sehr müde machte.
    »Und Gilam'esh und E'fah? Sollten sie nicht auch hier sein?« Vogler sah sich im Labor um. Bevor Gilam'esh in seinen Klonkörper umgezogen war, hatte er hoch und heilig versprochen, Clarice bei der Entwicklung der Medikamente für die Verwachsenen zu helfen. Die Realität sah leider anders aus.
    Clarice stieß ein verärgertes Seufzen aus. »Gilam'esh und E'fah, nun… sagen wir mal, sie haben sich nach dem Umzug in ihre Klonkörper noch immer nicht voll akklimatisiert.«
    Voglers Lippen zuckten leicht. »Benehmen sie sich immer noch wie Kinder?«
    »Allerdings.« Clarice wies auf mehrere Kästen mit kugelförmigen Larven und Kleinstlebewesen an der Seite des Raumes. Es waren ungefährliche Züchtungen, die sie anhand der Genkugel in einer Nährlösung angesetzt hatte. »Bei ihrem letzten Besuch haben sie eine der Darenar-Larven zerquetscht! Seitdem nennen wir die Biester nur noch Brüllwürmer! Der Ton, den die Larve ausstieß, als E'fah sie zerdrückte, ließ mich fast ohnmächtig werden! E'fah und Gilam'esh haben sich königlich amüsiert, obwohl auch sie durch das Gebrüll zu Boden gingen. Ich musste sie hinauswerfen und eine neue Nährlösung ansetzen, weil sie die alte verunreinigt hatten!«
    »Das klingt anstrengend.«
    »Es liegt an ihren Klonkörpern. An der Kapazität der Kindergehirne. Sie können noch nicht voll auf alle Erinnerungen und Verhaltensmuster zugreifen, die sie bereits erworben und erlernt haben. Ich bin wirklich froh, wenn die erwachsenen Klonkörper endlich fertig werden. Wenn ich Mutter hätte werden wollen, hätte ich auf dem Mars eine Familie gegründet.«
    Vogler dachte daran, wie es wohl wäre, wenn sie auf dem Mars gemeinsam eine Familie gründen würden. Doch trotz all ihrer Nähe und dem Vergnügen, das sie einander bereits auf der Erde geschenkt hatten, war es für ihn unvorstellbar. Stand er sich selbst im Weg?
    Als hätte Clarice seine Gedanken gelesen, drehte sie sich zu ihm um. Das lumineszierende Pflanzenlicht der Decke lag auf ihrem ausdrucksvollen Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den blassen Pigmenten.
    Einen Moment sahen sie einander an - die Wissenschaftlerin und Abenteurerin und der Baumsprecher, der mit allem eins war. Sie hatten so viel zusammen erlebt. Waren sich näher gekommen, als er je gedacht hatte.
    »Du leistest gute Arbeit hier, Clarice«, sagte Vogler in die Stille.
    Sie lächelte. »Ja. Du auch. Und jetzt lass mich bitte
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