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244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum
Autoren: Volker Ferkau
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klingt er so alt, wie er vermutlich ist, dachte Rulfan. Aldous nickte nach links und rechts, begrüßte andere Zilverbaks und Menschen, die ihm nicht minder freundlich begegneten. Zarr tapste an Aldous’ Seite.
    Fehlt nur noch, dass er dem kleinen Mann einen Arm um die Schulter legt, dachte Rulfan.
    »Schön, dass ich euer Gast sein darf. Zwar muss ich bald weiterziehen, aber wenn ich die nächsten zwei Nächte bei euch bleiben dürfte, wäre ich sehr erfreut. Wir haben einen langen Weg hinter uns.«
    »So lange du willst, Aldous…«, sagte Rulfan, dem die freundliche, gewählte Ausdrucksweise gefiel. Erst jetzt wurde ihm richtig bewusst, wie lange er eine gute, zivilisierte Unterhaltung entbehrt hatte. Lay und die anderen Nackthäute waren dafür die falsche Adresse; die Zilverbaks sowieso.
    So verging der Tag. Aldous sah sich um und stellte Fragen. Seine Wissbegierde schien unerschöpflich. Zarr, sein Freund Kurr, dessen Weib Lizzr, sowie junge und alte Nackthäute bildeten eine Traube um ihn und veranstalteten ein regelrechtes Fest. Köstlichkeiten wurden aufgetragen, Anbaswein wurde getrunken. Lay kochte ihren begehrten Eintopf.
    Als sich nach Sonnenuntergang einige Dorfbewohner auf die Bäume, in ihre Felshöhlen oder auf die in den Dickichten der Baumwipfel gebaute Ebenen zurückzogen, blieben Rulfan, Lay und Aldous am Feuer zurück. Die Valvona Winda drehte sich wie ein Hund mehrmals um die eigene Achse, wackelte mit dem großen Schädel und faltete sich regelrecht zusammen. Ihre Beine knickten wie Strohhalme ein und schoben sich unter den Bauch, was zu einigem Gelächter führte. Zusammengelegt war sie nicht größer als ein Lupa, abgesehen von dem nun absurd groß wirkenden Kopf, der wie ein Fremdkörper am kurzen Hals im Sand lag. Chira, die die Valvona freudig begrüßt hatte, rollte sich neben ihr zusammen und schlief auf der Stelle ein.
    Der Wald erwachte zum Leben. Monkees kreischten und schimpften, Vögel kreischten, in den Gräsern zischelte es. Die in den Bäumen hängenden Zilverbaks grunzten und schnarchten.
    »Ich möchte euch ein Geschenk machen«, verkündete Aldous, der trotz der Dunkelheit noch immer seine Sonnenbrille trug. In den schwarzen Gläsern reflektierte der Feuerschein.
    »Geschenk?« Lay reckte neugierig den Kopf.
    »Ja, meine Freunde. In meinem Dorf gibt es einen schönen Brauch. Wenn man sich begegnet, nimmt man einen Becher Cannuswein. Genau genommen…«, er griff zu Rulfans Becher und schüttete den Rest Flüssigkeit aus, »… handelt es sich um ein Pulver, das wir Schamanen aus der Cannuspflanze gewinnen. Mit Wasser verdünnt schmeckt es wie der feinste Wein aus Sonnland. Cannuspulver ist selten und teuer. Ich möchte es mit euch teilen und danke damit noch einmal für die freundliche Aufnahme in Taraganda. Das Essen war überwältigend. Ich habe noch niemals einen solchen Eintopf genossen.«
    Lay zappelte verlegen. Rulfan nahm ihre Hand und drückte sie.
    Aldous schüttete etwas Pulver in Rulfans Becher, dann etwas in Lays und in seinen eigenen. Er füllte aus einer Kalebasse Quellwasser dazu. Sie stießen an und tranken.
    Tatsächlich, fand Rulfan, hatte er noch nie einen so schmackhaften Wein getrunken. Das Erlebnis war überwältigend. Er meinte die Gräser atmen zu hören, den Wind flüstern, das Platzen reifer Beeren zu vernehmen. Als ein Scheit im Feuer nachrutschte und Funken stiebend krachte, schreckte er hoch. Aldous nahm seine Sonnenbrille ab. Seine dunkelgrauen Augen musterten Rulfan. »Was machst du hier in diesem Dorf?«
    »Ach – das ist eine lange Geschichte…«
    »Ich liebe lange Geschichten!«
    Einmal mehr staunte Rulfan über die Präsenz, die der Schamane sogar jetzt noch, zusammengesunken und fast winzig vor dem Feuer sitzend, ausstrahlte. Es war, als umgebe ihn eine flammendrote Aura, als verströme er den Hauch eines Drachen. Aldous’ ruhige sonore Stimme, die wie so vieles an dem Alten nicht zu ihm passen wollte, tat ein Übriges. Sie strahlte Behaglichkeit aus, aber auch das Verlangen nach Vertrauen.
    »Rulfan müde?«, ließ sich Lay verlauten.
    »Nein, Liebste. Noch nicht«, entgegnete Rulfan.
    »Besser jetzt schlafen…«, ließ Lay nicht locker.
    Rulfan knurrte ungehalten. »Noch nicht, Lay…«
    Lay zog sich etwas zurück und schwieg. Sie leerte ihren Becher mit einem Zug und Aldous wiederholte die Prozedur – erst Pulver, dann Wasser.
    »Du willst sie wirklich wissen? Meine Geschichte?«, vergewisserte sich Rulfan.
    »Was uns ausmacht,
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