Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
wollte, nicht abzuwenden ist.“
    Da schlug Schakara erschrocken die Hände zusammen und fragte:
    „Es gibt – Krieg?“
    „Ja – Krieg!“ nickte Marah Durimeh.
    „Zwischen wem?“ fragte ich.
    „Zwischen Ardistan und Dschinnistan.“
    „Ist er schon erklärt?“
    „Erklärt –? Welch ein Wort! Eine vorherige Erklärung gibt es nur zwischen zivilisierten Herrschern. Der Mir von Ardistan aber ist Barbar. Er schlägt los, sobald es ihm beliebt, ohne vorher zu fragen und ohne vorher etwas zu melden. Ich kann auf deine Frage also nur die Antwort erteilen, daß es Krieg geben wird, daß er aber noch nicht begonnen hat. Ich habe ihn verhüten wollen und der Mir von Dschinnistan ebenso; aber alle unsere Mühe ist vergeblich gewesen. Nun müssen wir schnell handeln, er und ich. Ich brauche einen Mann, auf den ich mich verlassen kann; ich brauche ihn sofort, sofort! Einen Mann der nicht pfiffig, nicht hinterlistig, nicht verschlagen ist, sondern ehrlich klug, nur klug, aber so klug, daß ihn selbst der abgefeimteste Pfiffikus weder täuschen noch betören kann!“
    Nach diesen Worten wendete sie sich mir zu und fragte:
    „Kennst du einen solchen Mann, Sihdi?“
    „Nein“, antwortete ich.
    „Wirklich nicht?“ lächelte sie.
    „Wirklich nicht!“ antwortete ich ernst und überzeugt.
    Da fiel Schakara ein: „Oh, doch gibt es einen! Und der bist du selbst!“
    „Du irrst, Liebling, du irrst!“ wies ich sie zurück. „Einen Menschen, der so klug ist, daß ihn selbst der abgefeimteste Pfiffikus weder täuschen noch betören kann, habe ich noch nie gesehen, werde wohl auch niemals einen zu sehen bekommen. Aber es gibt einen, der sich Mühe geben will, so bedachtsam, so klug und so mutig wie möglich zu handeln, und der bin allerdings ich. Wenn du, o Herrin, in diesem Augenblick zufällig keinen Besseren hast, so bitte ich dich, mich zu schicken!“
    Die letzteren Worte waren an Marah Durimeh gerichtet. Sie antwortete nicht sogleich. Sie trat an die Brüstung des Söllers und schaute hinaus über die See und hinauf zum sich dunkler färbenden Himmelsblau, an dem die ersten Sterne zu glänzen begannen. Schakara ergriff meine Hand, drückte sie leise und flüsterte mir zu:
    „Ich danke dir! So war es recht. Nun ist sie gerührt und spricht, ohne daß du es ahnst, mit deiner Seele. Das nennen die Menschen Liebe.“
    Nach einiger Zeit drehte sich die Gebieterin uns wieder zu und gab mir den Bescheid:
    „Ja, du sollst gehen, Sihdi, du! Ich hoffte, daß du dich mir anbieten würdest, freiwillig, ohne von mir aufgefordert worden zu sein. Es ist geschehen. Das freut mich so, wie ich mich selten freue. Den Dank, den ich dir schulde, kann ich nicht geben, so von Hand zu Hand, wie ich es wohl wünschte. Du hast ihn dir selbst zu holen, in Ardistan und Dschinnistan, wo er dir blühen wird auf allen Wegen, die du zu gehen hast. Aber doch eine Art von Dank soll es sein, daß ich dir heute schon sage, warum du es bist, dem ich diese meine Mission am liebsten anvertraue. Komm her zu mir!“
    Ich trat zu ihr hin. Sie ergriff mit der Rechten meine Hand, deutete mit der Linken zum Himmel empor und fuhr fort:
    „Als ich hier stand, ohne dir zu antworten, sprach ich mit den Sternen. Schau hinauf zum Firmament! Nicht deine heimischen Sterne leuchten, sondern die Sterne des Südens. Du siehst die Jungfrau, den Raben, den Becher und den Kelch. Hier das Herz, den Kompaß, das Schiff; dort Antares, den Wolf, den Zirkel und das Kreuz. Aber nicht diese Sterne waren es, mit denen ich sprach. Meine Astrologie ist eine andere. Ich schöpfe sie nicht aus dem sichtbaren Firmament, welches hier über uns flammt und glüht. Aber indem ich meinen irdischen Blick an die Gestirne, die ich dir nannte, hefte, mache ich mein inneres Auge für seelische und für geistige Firmamente frei, und da werden mir Sterne sichtbar, die andere nie erschauen. Auch den deinen habe ich gesehen, den deinen. Soll ich ihn dir zeigen?“
    Es war ein sonderbarer, doch nein, ein wunderbarer Augenblick! Sie stand vor mir wie eine der berühmten Wahrsagerinnen aus der Zeit, in welcher die Menschen den Turm von Babel bauten. Ihre geisterhaften Züge waren wie aus leicht angedunkeltem Alabaster gemeißelt. Ihre Augen schienen im Glanz der Sterne von einer unergründlichen, nie auszuschöpfenden Tiefe zu sein. Die beiden langen, starken, silberweißen Zöpfe ihres Haares hingen rechts und links bis nahe zum Boden herab. Ihre Stimme klang wie nicht von dieser Welt. Und um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher