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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I
Autoren: Karl May
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ihre ganze Gestalt wehte ein leise duftender Hauch, eine ganz eigenartige, geheimnisvolle Atmosphäre, für welche in keiner der vielen Sprachen, die es gibt, das richtige, das bezeichnende Wort zu finden ist. Was sie sagte, das verstand ich nicht ganz, aber ich ahnte von ungefähr, wie sie es meinte. Darum bat ich: „Ja, zeige ihn mir!“
    „Du sollst und wirst ihn sehen“, antwortete sie. „Aber nicht, indem ich mit dem Finger auf ihn deute und dir sage, ‚da oben ist er, dort‘, sondern indem ich dir zeige, wo und wie er zu suchen ist. Denn nur derjenige Stern kann der deinige sein, den du selbst zu finden verstehst. Wenn Gott, der Herr, es will, wirst du ihn in Dschinnistan erblicken, sobald er dort über deinem Haupt steht. Du kennst dies Land noch nicht. Auch in Ardistan bist du noch nicht gewesen. Ich werde dich in die Bibliothek führen, um dir die Bücher, Karten und Pläne vorzulegen, aus denen du dich unterrichten kannst. Vorher aber habe ich dir ein unendlich Wichtiges zu sagen, was du unbedingt wissen mußt, wenn deine Sendung nach Dschinnistan gelingen soll. – Setzen wir uns!“
    Wir nahmen wieder Platz. Marah Durimeh begann:
    „Im Abendland würde man über das, was ich dir sagen werde, höchstwahrscheinlich lachen. Mir ist es aber ernst, ja bitter ernst. Man würde höhnen: ‚Ein altes Kurdenweib spricht über hohe Politik und über die Gesetze der Zivilisation!‘ Ich aber stehe auf dem von Gott gegebenen Standpunkt, von welchem aus auf dem Feld von Bethlehem die Weissagung der himmlischen Heerscharen erklang: ‚Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden!‘ Daß man ihm, dem Weltenherrn, die Ehre zollt, die ihm gebührt, dafür sorgt er in seiner Allmacht und Weisheit am allerbesten selbst. Aber daß hier auf Erden Frieden werde, das ist zwar sein Gebot, muß aber unsere Sorge sein, der wir gehorchen müssen.“
    „Wann wird er kommen, dieser Friede?“ fragte Schakara. „Es scheint fast, nie!“
    „Er kommt!“ antwortete die Herrin mit schwerer Betonung. „Er muß kommen, denn Gott will es.“
    „Es vergingen Tausende von Jahren, ohne daß er kam!“
    „Aber es werden nicht mehr Tausende vergehen!“
    „Im Abendland regt es sich bereits“, fiel ich ein. „Die edelsten der Männer und der Frauen vereinen sich, ihm freie Bahn zu brechen!“
    „Freie Bahn?“ fragte Marah Durimeh. „Im Abendland? Ich weiß, ich weiß! Aber was können die Vorschläge selbst der edelsten Menschen fruchten, wenn man die großen, die deutlichen, die riesenhaft in die Augen fallenden Winke nicht beachtet, welche das Leben selbst erteilt? Und wenn sich hundert Kaiserinnen und tausend Königinnen vereinen, um ihre Stimmen für den sogenannten ewigen Frieden zu erheben, was wäre der Chor dieser Stimmen gegen den fürchterlichen, ununterbrochenen Schrei des Blutes, welches von Anfang an bis heute vergossen worden ist, ohne daß auch nur ein einziges Jahr erschien, von dem man sagen könnte, daß es Friede auf Erden gab.“
    „Die Herrscher und Fürsten beschicken Friedenskonferenzen“, sagte ich, „auf denen –“
    „Auf denen man den Krieg, nicht aber den Frieden organisiert!“ unterbrach mich Marah Durimeh.
    „Man humanisiert den Krieg!“
    „Das heißt, man tötet schneller und schmerzloser, aber – man tötet! Ich sage dir, mein Freund, der stolze Krieg steigt nie zum Frieden herab, um ihm die Hand zu reichen, sondern der Friede muß zu ihm empor, um ihn, der ewig widerstreben wird, herabzuschmettern. Hat der Krieg eine eiserne Hand, so habe der Frieden eine stählerne Faust! Nur die Macht imponiert, die wirkliche Macht. Will der Friede imponieren, so suche er nach Macht, so sammle er Macht, so schaffe er sich Macht. Du siehst, daß der Friede niemals wirklich Friede sein kann. Er ist es nur so lange, als er die Macht besitzt, es zu sein. Er hat stets auf Vorposten zu stehen. Sobald er sich beschleichen und überfallen läßt, tritt der Feind an seine Stelle. Alle Rüstung der Erde und alle Rüstung ihrer Völker war bisher auf den Krieg gerichtet. Als ob es unmöglich wäre, in ebenderselben und noch viel nachdrücklicheren Weise auf den Frieden zu rüsten! Begreifst du, was ich meine?“
    „Ich verstehe dich“, antwortete ich. „Krieg oder Friede. Wer von beiden die größere Macht besitzt, der wird herrschen. Woher aber bezieht der Krieg seine Macht?“
    „Das wirst du in Ardistan sehen.“
    „Und woher der Friede die seinige.“
    „Das sollst du in Dschinnistan erfahren.
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