Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
235 - Auf dem sechsten Kontinent

235 - Auf dem sechsten Kontinent

Titel: 235 - Auf dem sechsten Kontinent
Autoren: Michael M. Thurner
Vom Netzwerk:
Stimme. »Er denkt anders. So, dass ich es nicht erfassen kann. Er ist kein… kein richtiges Lebewesen.«
    »Was meinst du damit? Ist er ein Mutant?«
    »Nein, das nicht.« Sie schüttelte den Kopf. Dann umarmte und küsste sie ihn unvermittelt. Sie schmeckte nach Verzweiflung. Hier waren Kräfte am Werk, gegen die auch Aruula nichts ausrichten konnte. Sie schien ganz genau zu wissen, wie unsicher er war.
    Vom Rand des Weizenfeldes aus beobachteten sie das bunte Treiben. Die meisten Familienmitglieder der Gadgets feierten mit übertrieben guter Laune. Männer wie Kinder stopften wahllos Nahrung in sich hinein, tranken aus Krügen, grölten laut, sparten nicht mit derben Scherzen.
    Nanette thronte in einem polsterbesetzten Stuhl, der aus Juris Haus stammte, Tochter und Enkelin saßen neben ihr und ließen ihre Blicke aufmerksam über das Geschehen schweifen. Die Rozhkois hatten sich zurückgezogen. Im Licht des Fensters sah Matt, wie sich René und Juri in ihrer Hütte heftig gestikulierend unterhielten. Die meisten anderen Gäste blieben unter sich, die Blicke der Männer wanderten jedoch immer wieder hinüber zum Triumvirat der drei Gadget-Frauen.
    »Ich will noch nicht zurück«, sagte Matt. »Lass mich bitte allein.«
    »Ich… verstehe.« Aruula hauchte ihm einen weiteren Kuss auf die Lippen und schob sich in den Schatten des Hauses. Dort blieb sie stehen und betrachtete aufmerksam das Geschehen.
    Unter normalen Umständen hätte sich Matt über die Passivität seiner Gefährtin gewundert, doch heute erschien es ihm einerlei. Eigentlich war es ihm ganz recht. All das Geschwätz über den Einfluss, den die Gadget-Frauen angeblich auf ihn ausübten, entsprang sicherlich Hirngespinsten. Er war kerngesund, und er spürte nichts, was ihn gefährden könnte. Vielleicht ein wenig Müdigkeit und eine Art Verspannung im Rücken, mehr nicht. Die Gadgets übten eine natürliche Anziehungskraft auf ihn aus, und damit konnte er leben.
    Oder?
    Der Franke machte ihm allerdings Sorgen. War er etwa ein vergessener Daa’mure, der hier in einer neuen Gestalt eine Heimstatt gefunden hatte? Von der Körperfülle her konnte das passen, und es wäre auch eine Erklärung für die Gedankenblockade.
    Matt lenkte seine Schritte weg vom Lagerfeuer und hin zu dem Hügel, den er heute in Juris Schlepptau bestiegen hatte. Vielleicht half das Alleinsein, um Klarheit in seine Gedanken zu bekommen; vielleicht legte sich bei einem Spaziergang der Druck, den er auf seinen Schultern lasten fühlte.
    Er erreichte den Brunnen. Matt schöpfte Wasser aus einem halbvollen Eimer, marschierte weiter – und blieb dann abrupt stehen.
    Da war eine Stimme vor ihm, hinter hüfthohem Gestrüpp verborgen, perlklar und sanft. Ein Mädchen sagte: »Sie besitzen ein Gefährt, das jenseits des Riffs liegt. Wenn wir es hätten, könnten wir weg von hier. Nur wir beide.«
    Wasser plätscherte, das Mädchen kicherte.
    Matt tat vorsichtig ein paar Schritte vorwärts, legte sich flach auf den Bauch, schob die Halme sachte auseinander und lugte hinab in die Senke.
    Da war Nimue, die Jüngste der Gadgets. Fast nackt stand sie im eiskalten Wasser, knietief, und wusch sich. Der Halbmond beleuchtete ihren makellosen Körper. Sie tat so, als befände sich jemand in unmittelbarer Nähe, den sie mit ihren lasziven Bewegungen verführen wollte.
    »Du willst doch auch weg – oder?«, plapperte Nimue weiter, ohne in eine bestimmte Richtung zu sehen. »Wir könnten all das hinter uns lassen. Du weißt, wozu ich imstande bin. Ich besitze weitaus mehr Kraft als meine Altvorderen.« Sie spitzte den kleinen Mund und summte eine Melodie, um dann abrupt abzubrechen und in ihrem Monolog fortzufahren: »Wenn ich wollte, könnte ich mir die Menschen des gesamten Inselreichs Untertan machen, Frauen wie Männer. Ein Blick reicht, oder eine Geste…«
    Sie bewegte ihre Rechte, grazil wie eine Schlange, und hypnotisierend. Die Bewegung löste etwas in Matt aus. Am liebsten wäre er hinabgekrochen zu Nimue, auf allen Vieren, hätte sich vor ihr ins Wasser geworfen und darum gebettelt, von ihr zur Kenntnis genommen zu werden…
    »Doch was mache ich mit ein paar Felsen im Ozean? Hast du gehört, was dieser Matt herumerzählt hat? Von Klein- und Großreichen, von Stadtstaaten, von neuen Zivilisationen?« Nimue streckte ihre Hände in den Himmel, der Zauber um Matt brach. »Unsere Zukunft liegt in Euree oder Afra! Wir werden herrschen, werden im Luxus schwelgen, wie ihn meine Mutter und die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher