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234 - Das Drachennest

234 - Das Drachennest

Titel: 234 - Das Drachennest
Autoren: Jo Zybell
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Kombüse, eine knabenhaft kleine, aber stämmige Gestalt mit Schuppenhaut, Schwimmhäuten zwischen Zehen und Fingern und einem doppelten Scheitelflossenkamm auf dem eckigen Schädel. Agat’ol war sein Name. Er öffnete die Klappe des kleinen Mikrowellenherds in der Wandverschalung; die Gleiterkombüse war so winzig, dass man sich kaum darin drehen konnte. Der Hydrit nahm das Tablett mit dem Essen heraus: Fisch und Erbsen für Crow, Wisaausteak und Spinat für dessen Adjutanten Hagenau, zweimal Fisch und Algensalat für ihn selbst.
    Er blickte hinter sich, wo er durch die schmale Luke einige der stummen und reglosen Gestalten im Laderaum sitzen sah. Dann grapschte er sich die Fischfilets von seinem Teller und verschlang sie gierig. Danach holte er ein Döschen aus der Tasche seines Lederharnischs, öffnete es und kippte seinen Inhalt – ein graues Pulver – über Hagenaus Spinat.
    Hastig rührte er das Gift unter; es handelte sich um den hochkonzentrierten und getrockneten Schleim eines ostpazifischen Seeigels, der sich mit einer ätzenden Substanz gegen seine Fressfeinde zu wehren pflegte. In Pulverform war diese Substanz glücklicherweise geschmacklos – und tödlich, wenn man sie nur hoch genug dosierte.
    Das Tablett in den Schuppen- und Schwimmhauthänden, bückte sich Agat’ol aus der kleinen Bordkombüse. Lautlos trat er in den Laderaum. Prüfend blickte er sich um. Angeschnallt, reglos und mit toten Augen hockten sie in den Bankreihen des vorderen Laderaums: dreißig Gestalten in Kampfanzügen.
    Keine beobachtete ihn, keine zuckte auch nur mit der Wimper; alle zwanzig U-Men und alle zehn Warlynne-Modelle waren deaktiviert. Möglicherweise würden sie in der Antarktis über Monate funktionieren müssen, ohne ihre Energievorräte erneuern zu können. Jedes Joule, das gespart werden konnte, musste gespart werden. So die Anordnung des Generals.
    Dessen Stimme tönte aus dem Cockpit: »Wenn wir erst die Waffe haben, Hagenau, dann hält uns keiner mehr auf.« Agat’ol lauschte. »Erst nehmen wir uns die Antarktis, dann Waashton und dann die ganze Welt. Jedenfalls jene Teile der Welt, die interessant genug sind, um Energie und Zeit in ihre Eroberung zu investieren.«
    »Was für ein Glück, dass uns dieser Fischhansel über den Weg gelaufen ist«, hörte Agat’ol den Adjutanten des Generals sagen. »Was machen wir eigentlich mit ihm, wenn wir die Waffe…«
    »Nicht so laut«, unterbrach Crow ihn zischend.
    An den Maschinenwesen vorbei durchquerte Agat’ol den Laderaum. Es überraschte ihn keineswegs, was er da gerade gehört hatte. Wenn er die Gefährlichkeit des Generals nicht längst erkannt hätte, würde er dessen Adjutanten nun kein derart unbekömmliches Essen servieren. Der Fischmensch hatte General Arthur Crow längst durchschaut; zumindest glaubte er das.
    Er schaukelte ins Cockpit. Sein breiter, ein Meter sechzig großer Schuppenkörper bewegte sich schwerfälliger, als er in Wirklichkeit war. Leichtfüßig und geschmeidig konnte der Hydrit sich bewegen, wenn es darauf ankam, blitzschnell und punktgenau. »Das Essen ist fertig«, sagte er.
    »Endlich!« Crows Adjutant Hagenau stellte den alten Transportgleiter auf Autopilot, drehte seinen Pilotensessel herum und griff sich Besteck und den dampfenden Teller vom Tablett. Aus den Augenwinkeln sah Agat’ol, wie er sofort anfing, sein Fleisch in kleine Stücke zu säbeln.
    Die seltsame Gewohnheit mancher Lungenatmer, ihr Essen portionsgerecht zu zerteilen, erstaunte ihn immer wieder aufs Neue. Konnten sie es denn überhaupt nicht genießen, ihre Zähne in weiches Fleisch zu schlagen, um es zu zerreißen?
    General Arthur Crow steckte sich sogar eine weiße Serviette in den Kragen seiner dunkelgrauen Bordkombi, bevor er sich seinem Essen widmete. »Immer noch kein Fleisch?«, fragte er stirnrunzelnd und mit erstauntem Seitenblick auf Agat’ols Algensalat. Seine Tischsitten wollten Agat’ol besonders gespreizt erscheinen. Wie konnte man sich beim Genuss seiner Speise denn entspannen, wenn man sie in unansehnlicher Weise zerkleinerte und dann noch mit gefährlichen Instrumenten wie einer Gabel und einem Messer in den Mund balancierte? Unbegreiflich!
    »Selbstverständlich nicht, General«, antwortete Agat’ol ungerührt. »Ich habe Ihnen doch erklärt, dass die Hydriten, so weit sie nicht pervertiert sind, vegetarisch leben. Kein Fisch, kein Fleisch, nur Pflanzen…« Er räusperte sich und versuchte das aufsteigende Verlangen nach rohem, blutigen
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