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2319 - Die Siedler von Vulgata

Titel: 2319 - Die Siedler von Vulgata
Autoren: Unbekannt
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Mitleid!"
    „Hör auf zu jammern und pack dich!"
    Die Schergen ergriffen ihn an den Oberarmen und hoben ihn in die Höhe. Da bemerkte Arrick hinten bei der kleinen Kammer eine junge Frau. Sie sah ihn aus großen, dunklen Augen an, ein ruhiger Blick. Weich waren ihre Züge, sanft der Schwung der Lippen, die Ohren klein und zart. Sie war älter als er, sicher achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Sie lächelte nicht.
    Aber sie sah Arrick an, und dieser Blick begleitete ihn hinaus zum Platz vor dem Haus Levitikus, wo immer noch die Menge zusammenstand.
     
    *
     
    Wie durch einen Schleier nahm er wahr, dass man den Dreiecksbock aufstellte, dass man ihn zwang, sich über diesen zu beugen. Am dafür vorgesehenen Pflock band man seine Hände fest. Er kannte das Verfahren, hatte schon oft beobachtet, wie Männer geschlagen wurden, die eine der unzähligen Regeln Vulgatas missachtet hatten. Für gewöhnlich bestand die Strafe aus zehn oder zwanzig Hieben, höchstens dreißig. Nun war er an der Reihe, das erste Mal in seinem Leben, und er sollte hundert Hiebe erhalten.
    Unter den Zuschauern sah er sie. Wohin er auch blickte, sie stand da, zumindest in seiner Vorstellung. Die Schläge begannen.
    Schmerz zuckte durch seinen Körper.
    Verzweifelt riss Arrick an den Handfesseln. Ihm schossen Tränen in die Augen. Beim zehnten Hieb schrie er, beim vierzigsten wusste er nicht mehr, ob er schrie oder nicht. Er hielt die Augen halb geöffnet, halb geschlossen. Sie war bei ihm. Sie sah ihn an in seinem Tagtraum, dem rettenden, sanften Tagtraum.
    Die Stimmen seiner Peiniger aber wollten ihn nicht entfliehen lassen. Gnadenlos sagten sie „Einundfünfzig", wenn er hoffte, es seien längst einundsiebzig Schläge gewesen. Als er das Gefühl hatte, sein Gesäß sei nur noch ein blutiger Klumpen Fleisch, hörten die Schläge auf.
    Das unwirkliche Wort verhallte: „Einhundert!"
    Man band ihm die Hände los. Fremde Arme stützten ihn, schleiften ihn fort. Je mand sagte: „Mach dir keine Sorgen um deine Mutter, wir haben sie in euer Haus gebracht."
    Aus der Siedlung heraus schleppte man ihn, irgendwohin unterhalb des Felsplateaus, und ließ ihn im Schatten eines Zirnenbaumes nieder in das kühle Gras. Die Zirnen wären längst geerntet, einige überreife Früchte aber hingen noch in den Ästen, wie es das 423. Gebot befahl, denn den zehnten Teil des Obstes muss man dem Baume lassen. Das gelbe Fruchtfleisch war aufgeplatzt.
    Großflügelige Insekten schwirrten darum herum und naschten.
    So sehe ich jetzt auch aus, dachte er. Aufgeplatzt. Der Hintern blutig, Schimmelpilze im Haar.
    Eine Frau reichte ihm einen Becher. Er trank kühles Brunnenwasser. „Danke", sagte er. Wer waren diese Menschen? Was wollten sie von ihm? „Hundert Hiebe. Du warst sehr tapfer, Junge", sagte ein älterer Mann. „Selten hat der Patriarch eine derartig harte Strafe verhängt. Du bist durch das Abfallrohr in sein Haus eingedrungen, sagt man. Woher dieser Mut?"
    Frauen fingen an, ihn zu waschen.
    Behutsam tupften sie ihn mit feuchten Schwämmen ab. Diese Fürsorge brach einen Damm in ihm. Er schluchzte plötzlich.
    Die Menschen sahen ihm zu, als wäre zu weinen eine ernste, edle Sache.
     
    *
     
    Nach einer Weile war sein Kopf wieder klar. Sauber war er nun, und getrunken hatte er auch. Er fühlte sich besser. Von einem sah er zum anderen, zwei Dutzend Männer und Frauen waren hier, dazu Terbo und die Freunde. Sie warteten darauf, dass er etwas sagen würde. Waren dies die Unzufriedenen, die er verraten sollte? „Was wisst ihr über Vulgata?", fragte er.
    Der ältere Mann nickte. „Das ist die richtige Frage. Du bist weise, Junge." Er räusperte sich. „Nicht viele wissen das, aber Vulgata wurde im Jahr 440 der Zeitrechnung gegründet, die wir damals zählten. Wir nannten sie die Neue Galaktische Zeitrechnung. Einer der Begriffe, die wir nicht aussprechen dürfen nach dem Gebot der Patriarchen, aber ich tue es. Wir waren Flüchtlinge. Von Terra flohen wir, weil unsere Glaubensgemeinschaft nicht in das dortige Leben passte. Die Liga Freier Terraner ließ uns ziehen. Mehrere Jahrhunderte waren wir auf uns gestellt. Dann kamen sie uns besuchen, und sie kommen immer wieder, alle paar Jahrzehnte. Seht euch an, welches kümmerliche Bild wir bieten! Wie man ein Raumschiff baut und damit fliegt - einst wussten wir es. Wir könnten sein wie jene Terraner, die heute hier waren! Stattdessen hüten wir Ziegen und bestellen Felder. Das ist alles, was wir beherrschen."
    Arrick
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