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2274 - Motoklon Hundertneun

Titel: 2274 - Motoklon Hundertneun
Autoren: Unbekannt
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und was ich war. Während des Tanzes hast du mir ... verziehen, nicht wahr?"
    Hatte er Recht? Hatte sie ihm für diese kurze Zeit eine Art von Absolution erteilt? „Ja", sagte sie schließlich, mit ihrer Verwirrung kämpfend. „Das ist es, was Tanz und Freude in mir und vielen anderen Wesen auslösen können. Wir vergessen. Und manchmal... vergeben wir."
    „Du schon", stellte der Motoklon mit Unwiderruflichkeit fest. „Ein Kybb niemals."
    Vor dem Eingang zu BLENDE-NULL blieb es nach wie vor ruhig. Lediglich der Unförmige zeigte Anzeichen von Nervosität, humpelte umher und sprach sichtlich aufgeregt auf seine Begleiter ein.
    Kein Wunder. Tagg Kharzani duldete keine Versager. Wenn er der Leiter dieses Einsatzes war, würde jegliche Schuld bei einem Fehlschlag an ihm hängen bleiben. Die Strafe würde auf den Fuß folgen. „Hundertneun, ich ..." Die Mediale Schildwache stockte und schüttelte stumm den Kopf.
    Lyressea gelang es einfach nicht, ihr von Hass, Dankbarkeit, Verachtung, Bewunderung und einem Potpourri weiterer Emotionen geprägtes Verhältnis zum Motoklon in Worte zu kleiden. „Zwischen uns ist alles gesagt", half ihr der Klon weiter. „Für mich endet es hier. Für dich muss es weitergehen. Meine Logiksektoren sind sich nicht sicher, wen von uns beiden das angenehmere Schicksal erwartet."
    „Gut." Lyressea schluckte. „Dann ... mache ich mich auf den Weg."
    Hundertneun drehte sich um und zog aus einer kleinen Nische einen Toten. Achtlos schleifte er ihn hinter sich her, warf ihn vor der Schildwache zu Boden. „Hier ist dein neuer Körper", sagte er. „Beeil dich! Der Überrangkode wird soeben eingespeist."
    Es war die Leiche eines Prim-Direktors. Der Kommandant von BLENDENULL, gehüllt in seinen overallähnlichen Direktorenanzug. Leblose, vor Angst weit aufgerissene Augen starrten sie an.
    Lyressea konzentrierte sich, tauchte neuerlich in das Nichts der Para-Modulation und die Eindimensionalität ein. Nahm die Veränderung ihres Körpers wahr, akzeptierte sie widerwillig.
    Als sie wieder sehen konnte, hatten sich Schärfe und Blickwinkel verschoben. Farben waren greller, Konturen schwächer umrissen. Die Mediale Schildwache fühlte sich schwach und zittrig, bis sie sich ihrer eigenen Kräfte wieder bewusst wurde. „Danke", murmelte sie ein letztes Mal, bevor sie losmarschierte. „Ich danke dir", entgegnete der Motoklon.
    Vielleicht meinte er es diesmal wirklich so. Vielleicht hatte er in seiner stetig fortschreitenden Verblödung den Sinn des Wortes erfasst und nicht nur als Floskel wiederholt.
    Während sie davonschlich, hinein in einen kaum benutzten Seitengang des Gebäudes, stellte sie fest, dass Kybb-Rodish keine Tränen kannten.
    Lyresseas verwandelter Körper war ihr einziger Trumpf. Die Verwendung des Deflektorschirmes verbot sich derzeit von selbst. Die Sturmtruppen und die gegnerischen Motoklone wussten mit Sicherheit, dass Hundertneun einen Begleiter der Allianz der Moral bei sich hatte, und würden auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.
    Nur nicht darauf, einen der ihren zu sehen.
    Eine Alarmsirene, unangenehm hoch, gellte. Das Zeichen dafür, dass der Schutzschirm, der BLENDE-NULL eingehüllt hatte, in sich zusammengebrochen war.
    Sie konnte sich bildhaft vorstellen, wie in diesen Momenten die Kybb-Truppen vorstürmten, begleitet von echsenhaften Motoklonen, um den Verräter Hundertneun zu finden und zu richten. Die Schaltstation war groß, von Dutzenden Haupt- und Nebenkorridoren durchzogen, die zu Segment-Kontrollstellen, informellen Knotenpunkten, Messstationen, Ersatzteillagern, Mannschaftsunterkünften und vielerlei Nebenräumen abzweigten. Und dann waren da noch die Wartungsschächte. So schmal und eng, dass sich ein Motoklon nur vermittels Gewalt hineinquetschen, aber niemals darin vorwärts bewegen konnte.
    Lyressea memorierte den Plan, den ihr Hundertneun mit auf den Weg gegeben hatte, während sie immer wieder auf die Uhr blickte. Zwei Minuten ihrer knapp bemessenen Zeit waren bereits vergangen.
    Vorsichtig schob sie eine Blechverkleidung beiseite, kletterte in den staubigen Quergang, durch den ein eisiger Wind fegte. Sie rutschte zwanzig Meter auf ihren Knien geradeaus. Eine weitere Klappe ließ sich leise quietschend beiseite schieben. Lyressea lugte hinaus, sah, dass sich kein Kybb in unmittelbarer Nähe befand, und ließ sich vorsichtig zu Boden gleiten.
    Sie befand sich in jenem gebogenen Ringkorridor, der BLENDE-NULL entlang der Außenwandung durchzog. Nur
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