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2236 - Der Finger Gottes

Titel: 2236 - Der Finger Gottes
Autoren: Unbekannt
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Wohle der Gemeinschaft nach Gentury geschickt. Er war ein wohlhabender Mann geworden, was er im Becktatal - nach übereinstimmender Meinung aller Jungen und Mädchen und wohl auch einiger Erwachsener - niemals erreicht hätte.
    Geheimnisvolle Kristalle wurden bei Takijon aus den Bergen gewonnen. Die Weißen zahlten offenbar viele Chronners dafür. Vielleicht war Menma auf eine besonders ergiebige Mine gestoßen, oder ihm gehörte womöglich ein ganzes Bergwerk. Dando wusste es nicht, aber er hoffte, es in diesen Tagen zu erfahren. Sicherlich würde Menma erzählen, wie es ihm ergangen war.
    Der Junge eilte einen gewundenen Feldweg hinunter ins Dorf, das malerisch an einem sanft geschwungenen Fluss lag und von großen Sischa-Bäumen beschattet wurde. Schon von weitem sah er, dass sich die Dorfbewohner am fließenden Wasser versammelt hatten. Er fand, dass sie merkwürdig still waren.
    Unwillkürlich verzögerte er seine Schritte. Er hatte einen gewissen Trubel erwartet, wie er einem so wichtigen Mann wie Menma zustand. Doch die Männer, Frauen und Kinder des Dorfes waren still.
    Auffallend still. Sie bildeten einen Halbkreis um den Ala-Felsen herum, der direkt am Ufer lag und den Göttern des Wasserwandels gewidmet war. Das war nichts Ungewöhnliches. Jeder, der etwas Bedeutsames mitzuteilen hatte, durfte dies von dem Felsen aus tun. So konnte er sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher sein.
    Dando spürte eine unangenehme Kälte in seinem Rücken. Eine unsichtbare Hand schien ihn zurückzuhalten und seine Schritte zu hemmen. Schließlich ging er so langsam, dass er kaum eine Handbreit pro Schritt gewann.
    Menma war ein großer, eindrucksvoller Mann, aber er sah anders aus, als Dando ihn sich vorgestellt hatte. Ganz anders. Er hatte einen strahlenden Mann erwartet, jemanden, dem der Erfolg anzusehen war, jemanden, den das Selbstbewusstsein und die in ihm wohnende Energie aus der Menge der anderen hervorhoben.
    Menma war nicht so. Er sah aus, als ob er unter größter Pein zu leiden habe, als werde er von schier unerträglichen Schmerzen heimgesucht. Das zeigte sich schon daran, dass die meisten der bunten Federn an den Rückseiten seiner Arme abgefallen waren, obwohl es ansonsten keinerlei Anzeichen der Mauser gab. Seltsam wirkte das seidige Tuch, das den vorderen Teil seines Körpers bedeckte.
    Zahllose Stickereien darauf schilderten bedeutsame Szenen aus seinem Leben.
    Dando blickte unwillkürlich an sich hinab. Auch er trug so ein Tuch, um seine Blößen zu bedecken.
    Allerdings fand sich nur eine winzige Stickerei darauf. Mit seinen vierzehn Jahre war er zu alt, um noch ein Kind zu sein, und zu jung, um schon als Erwachsener zu gelten. Von ihm gab es bislang nur zu berichten, dass er als Kleinkind von einem Raubtier angefallen und am Bein verletzt worden war.
    Von Leistungen für das Dorf und die Gemeinschaft konnte noch nicht die Rede sein.
    Von weniger ehrbaren Spuren aber auch nicht.
    Anders war es bei Menma. Die Vorderseite der Arme, der Beine, des Unterleibes und der Brust waren im Gegensatz zum Rücken vollkommen unbehaart. Hier war die Haut so zartrosa, wie es sein sollte - mit einer Ausnahme. Einer schrecklichen Ausnahme.
    Die Brust, deren Haut makellos sein sollte, wurde von einer bläulichen Tätowierung verunziert, einer in die Haut eingeprägten Zeichnung eines Ungeheuers mit funkelnden Augen, einem weit aufgerissenen Rachen und acht Armen. Ihr Anblick verschlug nicht nur Dando die Sprache, sondern rief auch bei den erwachsenen Dorfbewohnern lähmendes Entsetzen hervor. „Die Reinheit der Haut ist das höchste Gebot der Götter Cham und Phtatha", stieß ein alter Mann hervor, der dicht am Stein stand. „Das weißt du so gut wie wir alle. Wie konntest du eine solche Schande über uns bringen?"
    „Ich verstehe nicht, dass du es überhaupt wagst, zu uns zu kommen!", rief ein anderer. „Mit einer solch blasphemischen Verstümmelung!"
    „Ich bleibe nicht", antwortete Menma mit brüchiger Stimme, die mehr als alle Worte verriet, wie es in ihm aussah. „Ich gehe in die Wüste. Zuvor aber wollte ich euch zeigen, was die Weißen mir - und uns allen - angetan haben. Ich habe nichts verbrochen, was ihren Zorn hätte hervorrufen können. Ein Missverständnis ließ mich in ihren Augen schuldig erscheinen. Das genügte, mich in dieser Weise zu verstümmeln und zu schänden."
    „Wir alle haben dich immer für einen ehrenwerten Mann gehalten", entgegnete der Alte. „Doch deine Worte gefallen uns nicht.
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