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2156 - Stimme des Propheten

Titel: 2156 - Stimme des Propheten
Autoren: Unbekannt
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darüber hinaus. Wurde es nicht schon heller vor dem Fenster? Oriel Lei sah es im Augenwinkel wie ein stakkatoartiges Blitzlicht. Unter Aufbringung aller Kräfte löste er den Blick vom Trivid und wandte den Kopf zur Seite, wo seine Schwester saß... „Schwester ...", stieß er keuchend hervor. „Irgendetwas geschieht mit uns. Eine große Gefahr ..."
    „Aber nein", antwortete Siorel Hani mit beruhigender Stimme. Immerhin schien sie wieder ansprechbar zu sein. „Es ist alles in Ordnung, Bruder.
    Erinnere dich an die Erzählungen von früher, als der Riese Schimbaa erschaffen wurde. Wir leben nun im Licht, unser Schöpfer hat uns im Stich gelassen, und alles hat sich verändert. Es konnte nicht ausbleiben, dass dies eines Tages geschehen würde. Wir erreichen nun die nächste Stufe unseres Daseins."
    „Woher willst du das wissen?", fragte Oriel Lei verzweifelt. „Wir wissen nur, was in den Nachrichten kommt oder was in den Gebetsrunden mitgeteilt wird. Wie kannst du nur so sicher sein, dass wir die nächste Stufe erreichen?"
    „Sieh mich an, Bruder!" Siorel Hani wandte ihm das Gesicht zu. Es schien nur noch von den riesigen Augen beherrscht zu sein, deren grünes Leuchten sich zusehends ausbreitete. Oriel Lei konnte hinter dem Leuchten kaum mehr das vertraute Antlitz seiner Schwester mit dem leicht schief stehenden Nas-Organ erkennen. „Was ist mit dir?", flüsterte er voller Schrecken. „Bist du das noch, Schwester, oder jemand anderer? Ich erkenne dich nicht wieder ..."
    „Es ist wirklich alles in Ordnung, Bruder, warum machst du dir so viele Gedanken? Hast du Angst, dass sich die Welt weiterentwickelt? Es kann nicht immer alles bleiben, wie man es kennt. Sei nicht so verbohrt und engnasig! Es wird Zeit für die fortschrittliche Zukunft!"
    „Es ist falsch ...", jammerte Oriel Lei und hielt sich den gesenkten Kopf. Das Licht bereitete ihm zusehends Schmerzen, brannte sich glühend in sein Gehirn. „Das ist alles falsch '" Ich will das nicht '" ich will weg..."
    „Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin ja da, ich, deine Schwester. Sieh mich an und schau das Licht! Ich bin das Licht. Erkenne mich und bete mich an, denn du bist nichts ohne mich, doch alles, wenn du dich in mir badest. Sieh her!" Oriel Lei konnte sich dem hypnotischen Zwang der Stimme nicht entziehen. Sein Herz begann heftig zu klopfen, seine Glieder zitterten, und er hatte das Gefühl, als würde sein übermäßig aufgeplustertes Nas-Organ gleich platzen. Gegen seinen Willen musste er den Kopf heben und seine Schwester anschauen. Obwohl das Licht grausam blendete, riss er die Augen weit auf, denn er sah das Licht, wahrhaftig das Licht, einen allumfassenden Kreis, in dessen Mitte... ... das Böse wohnte.
    Auf den ersten Blick ein verwaschener schwarzer Fleck, doch schon nach kurzer. Zeit konnte er klar sehen, und er schaute und erkannte, und...
    „Bruder, nun wird es wirklich Zeit, aufzustehen!", rief Siorel Hani mahnend durch die offene Tür ins Schlafzimmer. „Das Morgengebet beginnt jeden Moment! Ich war schon im Stall und habe die Loort gefüttert, also steh endlich auf, du Faulpelz! Wir haben heute eine Menge zu tun." Als sie keine Antwort erhielt, schaute sie ins Zimmer. Oriel Lei lag wie zumeist seitlich zusammengerollt auf der Schlafmatte. Er rührte sich nicht. „Bruder, was ist mit dir?", fragte Siorel Hani besorgt. „Das ist doch sonst nicht deine Art! Bist du etwa krank? Oder willst du mich ärgern?" Der letzte Satz diente nur ihrer eigenen Beruhigung, denn aus dem Alter, sich gegenseitig Streiche zu spielen, waren sie längst heraus. Beide wurden in diesem Jahr sechzig Jahre alt. Zwillingsgeburten waren bei den Herreach selten, aber sie kamen durchaus vor.
    Allerdings waren die beiden von Anfang an unzertrennlich gewesen. Obwohl geborene Städter, hatten sie sich nach der Veränderung auf dem Land eine Existenz aufgebaut; das bäuerliche Dasein entsprach genau ihrem Geschmack. Sie hatten nie danach getrachtet, eine Familie zu gründen, denn sie waren sich selbst genug. Keiner von beiden war je krank gewesen. Keiner von beiden hatte je verschlafen. Sie waren so aufeinander eingespielt, dass der eine schon den Wunsch erfüllte, noch bevor der andere ihn ausgesprochen hatte. Siorel Hani ging in das Zimmer ihres Bruders, kauerte neben seiner Matte nieder und stupste ihn sachte an. Oriel Lei war kalt, so entsetzlich kalt. Seine blicklosen Augen waren weit aufgerissen, das Nas-Organ war noch geweitet, im Ausdruck des größten
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