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2156 - Stimme des Propheten

Titel: 2156 - Stimme des Propheten
Autoren: Unbekannt
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erneut gefährlich ins Schwanken geriet. „Schalte das Trivid an zur morgendlichen Gebetsrunde!", forderte sie ihren Bruder Oriel Lei auf. Es war ein tägliches Ritual, das kaum ein Herreach versäumte. Über den lokalen Trivid-Sender waren sie alle miteinander vereint, wenn der Cleros sich am Rand des mit gelben, schwefelhaltigen Steinen gepflasterten Tempelplatzes versammelte und unter der Führung der Obersten Künderin Presto Go das Morgengebet sprach.
    Der Tempelplatz besaß einen Durchmesser von viereinhalb Kilometern und befand sich im Zentrum der Hauptstadt Moond. In der Mitte des nach wie vor streng abgeriegelten Platzes erhob sich der mächtige Pilz dom zu 33 Metern Höhe, ohne sichtbare Fugen oder Öffnungen. In einem geostationären Orbit über dem Platz waren mehrere Plattformen mit Transformkanonen stationiert; die Geschützbatterien sowie die Projektoren für den sich über den Platz wölbenden, blau leuchtenden Paratronschirm waren hingegen im Boden versenkt. Die Herreach störten diese Sicherheitsvorkehrungen und die damit verbundene Zutrittsbeschränkung nicht; man wusste nie, wer plötzlich durch den Pilz dom käme, auch wenn es hieß, die Brücke in die Unendlichkeit sei beschädigt. Presto Go machte sich ohnehin keine Illusionen, dass sie der LFT einfach wieder die Tür weisen konnte, solange der Pilz dom existierte. Daher ließ sie sich den ständigen Aufenthalt der LFT gut bezahlen - mit technischen Dienstleistungen und Maschinen und einem monatlichen „Pachtzins", was der Bevölkerung zugute kam und die Autarkie sicherte, ohne dass man ein Steuersystem einführen musste.
    Die Herreach waren nicht gesellig, sie lebten sehr zurückgezogen auf ihrem Planeten, duldeten keinen Tourismus und unternahmen keine Ausflüge ins All, nicht einmal zu den terranischen Nachbarn. Man hatte sich inzwischen einigermaßen an die terranische Technik gewöhnt, aber sie bestimmte noch nicht den ganzen Alltag und kam nicht überall zum Einsatz. Presto Go bevorzugte den „behutsamen" Fortschritt mit einer allmählichen Annäherung an die „moderne Zeit". Die Herreach sollten sich weiterentwickeln, aber dabei nicht ihre Identität und vor allem Souveränität verlieren.
    Der Pilz dom hatte nur mehr symbolische Bedeutung. Ihr Schöpfergott war schon lange nicht mehr dort, Ashkaban Kummerog hieß er mittlerweile, der „Schöpfer, der nunmehr gegangen ist". Kummerog hatte sie für immer verlassen und sie gezwungen, selbst die Verantwortung zu übernehmen, was nichts daran änderte, dass das Volk der Herreach unmittelbar von ihm abstammte und tatsächlich von ihm erschaffen worden war. Deshalb hielten die Herreach nach wie vor an ihrem Glauben fest, wenngleich in abgewandelter Form. Doch war es tröstlich zu wissen, von wem man abstammte und dass die Aufgabe der Herreach in Zukunft vielleicht eine besondere sein würde. Mit der Zeit kamen sogar einige Herreach zu der Überzeugung, dass ihre Welt Trokan seit dem Zusammenbruch des Zeitrafferfeldes nur ein vorübergehender Aufenthaltsort war und ihre Bestimmung anderswo lag.
    N ach wie vor waren die Herreach nicht für den Wechsel von Tag und Nacht geschaffen, das Sonnenlicht blendete die lang geschlitzten, grün leuchtenden Augen, und in der Nacht waren sie ohne technische Hilfsmittel absolut blind und der Erfrierungsgefahr ausgesetzt. Sie konnten es nicht verstehen, dass dieser extreme Wechsel innerhalb so weniger Stunden für die Terraner ganz normal war; diese schienen es sogar zu genießen und erfreuten sich an Sonnenauf- und -untergängen. Für die Herreach kam dies jedes Mal einer Umweltkatastrophe gleich und hätte ohne die technische Hilfestellung der Nachbarn des blauen Planeten längst zum Untergang geführt.
    Das Morgengebet entsprach nicht der üblichen Gebetstrance, sondern war ein Moment der stillen Einkehr zur Vorbereitung auf den kommenden Tag.
    Presto Go erinnerte ihr Volk jeden Tag aufs Neue daran, wer die Herreach waren. Nach einer kurzen Ansprache mit täglich wechselndem Thema - manchmal ging es um die Gegenwart, manchmal um die historische Vergangenheit -, folgten einige Minuten der Meditation, die mit einem melodiösen Gesang, zumeist ohne Worte, abgeschlossen wurde. Danach begann das Tagwerk, das für die meisten der etwa 145 Millionen Herreach aus der Viehzucht, Bestellung der kargen Äcker oder dem einfachen Handwerk wie Ziegelbrennen bestand.
    Oriel Lei und seine Schwester Siorel Hani kannten kein anderes Leben, Sie waren zufrieden damit, so,
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