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2092 - Der Ausgestoßene

Titel: 2092 - Der Ausgestoßene
Autoren: Unbekannt
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des Dorfes und des Landes hielten Reden. Sie berichteten über die Ruhmestaten und die Schandflecken des Verstorbenen. Der Würmerdieb hinterließ eine schwerreiche Familie und zahlreiche Nachkommen.
    Seinen Reichtum hatte er sich wie die meisten Burtyner ergaunert, durch Betrug, Hinterlist und Schlimmeres angeeignet. Jetzt, da er auf so unerwartete Weise aus dem Leben gerissen worden war, galt es, in gebührender Weise von ihm Abschied zu nehmen.
    Noch bevor der Binsensack mit dem Leichnam in die Erdspalte rutschte, enthüllte der Hohe Hirte eine Gedenktafel an den Artgenossen. Er betonte die großen Verdienste des Burtyners namens Commnan Archy Beutelstein.
    Eine gelbe Signalfahne ruckte in die Höhe. Es war das verabredete Zeichen.
    Die Musikantin stellte sich auf die Pedale des Blasebalg-Ensembles und entlockte dem oberen Orawal die ersten Seufzer. Die Töne schwebten hinüber zum Friedhof, manifestierten sich dort als Flügelrauschen über den Gräbern.
    Die Trauergemeinde, Santade schätzte sie auf über dreitausend Burtyner, lauschte ergriffen nach oben. Manche hielten nach dem Vogelschwarm Ausschau, der ihren Ohren nach über den Friedhof hinwegzog.
    Mit dem achten Takt setzte das Tremolo ein. Gleichzeitig fing Junker auf seinem Kabremm ein heiseres Kratzen an. Es ähnelte dem Scharren der Totengräber, wenn sie mit ihren Schwertern den Spalt in die Erde ritzten. Ein Zischen erklang. Es symbolisierte das Geräusch, wenn die Schwerter Steine durchschnitten.
    Santade erzeugte es mit dem unteren Orawal, indem sie hart in die kurzen Röhrchen der oberen Töne blies. Anschließend nahm sie die Luft deutlich zurück und ließ ihren Atem über sie hinwegstreichen.
    Flageolett-Töne breiteten sich über das Dorf aus, untermalt vom tiefen, grollenden Tam-Tam-Tam der Klangkörper. Die Schwingungen übertrugen sich auf den Boden und wanderten durch den Friedhof bis hinein in die Ebene.
    Die Trauergäste versanken ehrfurchtsvoll und lauschten dem Brummen, das sich über die Schallräume ausbreitete.
    Santade von Sonnbajir erzeugte die ersten Sechsklang-Mollakkorde. Die Strohdächer der nahen Häuser verfielen in ein sich aufschaukelndes Vibrieren. Die ersten lösten sich aus ihren Halterungen und rutschten zu Boden. Mit der nächsten Welle fielen sie um und zerbrachen teilweise.
    Unterdrückte Rufe erklangen. Die Trauergäste erlebten den Einsturz ihrer Häuser mit. Keiner schien damit gerechnet zu haben, daß das 9-Imbariem eine derartige Wirkung haben könnte.
    Santade zitterte vor Erregung. Bisher hatte sie nie zu einer Verspaltung aufgespielt. Ihr fehlten die Erfahrungswerte. Zu spät erkannte sie, daß die Wasserträger und Balkenschlepper das Hauptpositiv viel zu nah am Dorf aufgebaut hatten.
    Einen Grund, die Feierlichkeit zu unterbrechen, stellte es nicht dar.
    Das obere Orawal entfaltete seine ganze Klangfülle. Ein Posaunenchor aus tausend Instrumenten ergoß seine Melodien über das Land. Die Mauern der Einfassung zitterten. Erste Lehmbrokken fielen heraus, ein deutliches Zeichen, daß die Mauer nicht lange halten würde.
    „Das haut ja voll rein", hörte sie Junker murmeln. Er hackte wie ein Besessener auf seinem Kabremm herum.
    Das Klopfen und Knattern erinnerte die Totengräber daran, daß es an der Zeit war, die Verspaltung vorzunehmen. Sie rückten den Binsensack näher heran und duckten sich dabei, als könnten sie dem musikalischen Orkan auf diese Weise besser widerstehen.
    Santade von Sonnbajir beendete das Vorspiel und leitete mit mehreren Sechsklängen zur eigentlichen Verspaltungsmelodie über. Die Klangkörper entfalteten sich zu ihrer ganzen Macht, während die Pfeifen des oberen Orawals unter den Vibrationen erbebten.
    Diesmal waren die Schallräume anders angeordnet. Sie öffneten sich schräg nach oben über die Friedhofsmauer in den Himmel hinein. Die Melodie orgelte über die Trauernden hinweg.
    Junker trommelte und klatschte. Dazwischen erzeugte er ein „RitschRatsch"-Geräusch. Die Totengräber bückten sich, hoben den Sack ein wenig an und verpaßten ihm den nötigen Schwung.
    Es funktionierte nicht. Der Sack verkantete sich, anstatt für alle Zeiten in den Erdspalt zu verschwinden.
    Santade versteifte sich. Sie rätselte, wieso den Totengräbern ein solches Mißgeschick passierte. Mit ihrem hochsensiblen Gehör lauschte sie der eigenen Musik nach und versuchte, Fehler wie Vierteltöne herauszuhorchen. Ein winziger Riß in einem einzigen Klangrohr reichte aus, um den gesamten
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