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200 - Die Suche beginnt

200 - Die Suche beginnt

Titel: 200 - Die Suche beginnt
Autoren: Jo Zybell und Michael Schönenbröcher
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Landschaftskonturen mehr unter sich, nur noch Staub und Glut.
    Dunkelheit legte sich wie eine Bleischürze auf sein Hirn. Er sah noch die Dampfsäulen zweier gigantischer Pilze in den Himmel schießen. Er registrierte noch, dass Smythes Kreischen verstummte, nahm noch das rote Blinken auf seinem Instrumentenbord wahr.
    Dann saugte finsterste Nacht sein Bewusstsein ins Nichts… wo Aruula auf ihn wartete.
    ***
    Sie dachte an Maddrax, immer wieder nur an Maddrax.
    Ihr Sohn kniete vor ihr, hielt ihre Hände fest und sah ihr in die Augen. »Mutter, schau doch nicht so unglücklich! Mutter, was ist denn mit dir? Du wirst doch diesem Kerl nicht nachtrauern?« Er drückte ihre Hände, legte seinen Kopf auf ihre Schultern. »Wir beide haben uns gefunden, das ist doch das Wichtigste! Wir beide, Mutter, du und ich!«
    Aruula sah durch ihn hindurch. »Ja«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Ja, du hast Recht…« Und sie dachte an Maddrax. Die Trauer lastete wie ein Felsbrocken hinter ihrem Brustbein.
    Die Dornen hatten ihren Geliebten eingehüllt und durchbohrt, sie hatte es genau gesehen. Ihr ganzes Leben lang würde sie dieses Bild nicht mehr vergessen.
    Er ließ ihre Hände los und fasste ihre Wangen. »Dann schau doch nicht so traurig, Mutter, ich bitte dich!« Es fehlte nicht mehr viel, und Daa’tan würde anfangen zu weinen. »Bitte, sei doch nicht so traurig, bitte, bitte!« Er küsste ihre Stirn und ihre Augenlider.
    An den Armaturen neben dem Heizkessel stand der schwarzhäutige Mann mit dem blauen Frack und der rosefarbenen Perücke. Aruula wusste, dass er sie beobachtete, aber es kümmerte sie nicht. Am Kartentisch hockte der Daa’mure. Seine silbrig-weiße Schuppenhaut schimmerte im Licht der auf der Tischplatte festgeschraubten Öllampe. Keinen Fetzen Stoff trug er auf seinem Echsenleib. Auch er fixierte sie. Aruula war es gleichgültig.
    »Was denkst du, Mutter?« Wenn Daa’tan doch endlich Ruhe geben würde! »Bitte, Mutter – sag mir, was du denkst!« Sie machte sich von ihm los, stand auf, drehte dem Gondelinnenraum den Rücken zu und sah zum Fenster hinaus. Noch immer dämmerte die Nacht herauf.
    Das Trümmerfeld des Uluru unter der rötlichen Staubwolke hatte das Luftschiff längst hinter sich gelassen. Es flog der untergehenden Sonne hinterher.
    Der ganze Abendhimmel schien voll zu sein mit Dornengestrüpp, mit Maddrax’ geliebtem Gesicht und mit seinen Wunden. Aruula konnte nicht aufhören, an ihn zu denken. Und jeder Gedanke an den Geliebten war ein Glied in einer Kette, die ihr das Herz zusammenschnürte.
    »Ich kann es nicht mehr…« Hinter sich hörte sie ihren Sohn flüstern. »Grao, hilf mir… ich kann es nicht mehr…!« Aruula wusste nicht, wovon er sprach. Es war ihr gleichgültig. Maddrax würde verbluten in dieser undurchdringlichen Dornenhecke, oder? Er würde doch verbluten, oder?
    »Was kannst du nicht mehr, Daa’tan?«, schnarrte der Daa’mure.
    »Ich kann keine Gedanken mehr lesen…« Sie hörte, wie ihr Sohn hinter ihr mit den Fäusten gegen seinen Schädel trommelte. »Ich hab versucht, herauszufinden, was sie denkt, aber ich kann es nicht mehr!«
    »Versuch es noch einmal«, sagte Grao’sil’aana. »Der Kampf hat dich geschwächt. Konzentriere dich!«
    Im Fensterglas sah sie die silbrig schimmernde Gestalt des Echsenartigen. Von der Gondeldecke baumelte über ihm das Netz, in dem die Zwergfledermaus wohnte, Titana. Aruula war völlig gleichgültig, was hinter ihr geschah. Vermutlich würde Daa’tan jetzt die Hände vor die geschlossenen Augen legen und mit aller Kraft versuchen, in ihre Gedanken einzudringen. Aruula kam sich vor wie ausgebrannt.
    Was, wenn Maddrax wirklich tot war? Dann wollte auch sie nicht mehr leben, so viel war klar. Die lange Trennung zu verarbeiten hatte sie schon unendlich viel Kraft gekostet. Dann das kurze Wiedersehen – und gleich darauf schon wieder ein Abschied. Nein, das war auch für sie zu viel.
    Plötzlich fiel ihr jener Morgen vor über fünfundzwanzig Wintern ein, als sie mit zwölf Erwachsenen in einem Ruderboot durch den Nebel vor der Küste von Kalskroona saß und Pfeile und Speere aus dem Nebel schossen. Ihr Mutter und ihre Königin waren dabei gewesen. Sie starben, und alle anderen starben auch. Nur sie nicht, das kleine Mädchen Aruula. Die fremde Horde nahm sie einfach mit.
    Die Erinnerung an diesen ersten und zugleich schrecklichsten aller Abschiede in ihrem Leben trieb ihr die Tränen in die Augen.
    »Ich schaffe es nicht…«,
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