Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
missbilligend, während sie Natascha ansah und den Kopf schüttelte. »Wie gemein, Natalja Alexejewna.«
    Im Unterschied zu den Männern trug sie dunkle Jeans und eine Jeansjacke. An einer silbernen Kette um ihren Hals funkelte ein Anhänger, an den Fingern blitzten mehrere massive Silberringe: aufwendig gearbeitete Stücke mit dem Kopf eines Drachen oder eines Tigers, um die sich Schlangen oder seltsame, an die Buchstaben eines unbekannten Alphabets erinnernde Ornamente wanden.
    »Wovon reden Sie...«, fragte Natascha mit brechender Stimme.
    Statt zu antworten zog die Frau schweigend Nataschas Tasche auf und holte das Fläschchen heraus. Hielt es ihr unter die Nase. Und schüttelte abermals vorwurfsvoll den Kopf.
    »Gefunden!«, schrie der Mann aus der Küche. »Liegt alles zutage, Leute.«
    Einer der Männer, die die Kräuterfrau festhielten, seufzte. »Darja Leonidowna Romaschowa!«, näselte er mit gelangweilter Stimme. »Im Namen der Nachtwache sind Sie verhaftet.«
    »Was für eine Nachtwache?« In der Stimme der Kräuterfrau schwang eindeutig ihr Unverständnis mit, klang aber auch Panik an. »Wer sind Sie überhaupt?«
    »Sie haben das Recht, auf unsere Fragen zu antworten«, fuhr der junge Mann fort. »Jede magische Handlung von Ihrer Seite wird als feindlicher Akt betrachtet und ohne Vorwarnung geahndet. Sie haben das Recht, um Regelung ihrer persönlichen menschlichen Verpflichtungen nachzusuchen. Ihnen wird zur Last gelegt... Garik?«
    Der Gerufene kam aus der Küche zurück. Wie im Traum registrierte Natascha, dass er ein ausgesprochen intelligentes, nachdenklich-trauriges Gesicht hatte. Solche Männer hatten ihr schon immer gefallen...
    »Meiner Meinung nach die üblichen Sachen«, sagte Garik. »Gesetzwidrige Beschäftigung mit schwarzer Magie. Manipulationen des menschlichen Bewusstseins dritten oder vierten Grades. Mord. Steuerhinterziehung ... aber das geht uns nichts an, damit sollen sich die Dunklen rumschlagen.«
    »Ihnen wird gesetzwidrige Beschäftigung mit schwarzer Magie, Manipulation des menschlichen Bewusstseins und Mord vorgeworfen«, wiederholte der Mann, der Darja gepackt hielt. »Sie kommen jetzt mit uns mit.«
    Die Kräuterfrau stieß einen durchdringenden, schrecklichen Schrei aus. Unwillkürlich starrte Natascha auf die sperrangelweit aufstehende Tür. Selbstverständlich war es naiv darauf zu hoffen, dass Nachbarn zu Hilfe kommen würden. Aber die Miliz konnten sie doch rufen, oder?
    Die seltsamen Besucher reagierten in keiner Weise auf den Schrei. Nur die junge Frau runzelte die Stirn. »Was sollen wir mit der tun?«, fragte sie und nickte in Nataschas Richtung.
    »Ihr den Trank abnehmen und die Erinnerung löschen.« Ohne jedes Mitleid blickte Garik Natascha an. »Soll sie doch glauben, es sei niemand zu Hause gewesen.«
    »Das ist alles?« Die junge Frau holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und zündete sich genüsslich eine an.
    »Was hätten wir denn sonst für Möglichkeiten, Katja? Sie ist ein Mensch, was sollten wir mit der schon anfangen?«
    Das alles war nicht einmal schrecklich. Sondern ein Traum, ein Albtraum... und Natascha verhielt sich wie in einem Traum. Mit einer abrupten Bewegung riss sie der jungen Frau die kostbare Flasche aus der Hand und stürzte zur Tür.
    Etwas warf sie zurück. Als sei sie gegen eine unsichtbare Wand gerannt. Natascha schrie auf und fiel vor der Kräuterfrau zu Boden, während das Fläschchen ihr aus den Händen flog und unerwartet leicht an der Wand zerschlug. Eine winzige Pfütze aus einer klebrigen farblosen Flüssigkeit breitete sich auf dem Linoleum aus.
    »Tigerjunges, sammel die Scherben für den Bericht ein«, sagte Garik ruhig.
    Natascha fing an zu weinen.
    Nein, nicht aus Angst, obwohl Gariks Ton keinen Zweifel ließ: Sie würden ihre Erinnerung löschen. In die Hände klatschen oder irgendwas andres tun - und sie löschen. Danach würde sie auf der Straße stehen, in der felsenfesten Überzeugung, die Tür zur Wohnung der Kräuterfrau sei für sie verschlossen geblieben.
    Sie weinte und beobachtete, wie auf dem dreckigen Boden ihre Liebe zerfloss.
    Durch die offene Tür stürmte jemand vom Hausflur herein. »Kinder, wir kriegen Besuch!«, hörte Natascha eine alarmierte Stimme, drehte sich aber nicht einmal um. Wozu auch? Sie würde ja sowieso alles vergessen. Alles würde sich zerschlagen, in spitzen Scherben zerstieben, im Schmutz zerfließen.
    Für immer.

Eins
    Morgens reichte die Zeit nie, um fertig zu werden. Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher