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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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der Diskussion zuwenig berücksichtigt, daß der so teuflisch veränderte Schlagbaum eine große Rolle spielt. Es soll Paragraphen geben, nach denen ein Grundstückseigentümer belangt werden kann, wenn auf seinem Gelände ein Dieb in ein nicht vorschriftsmäßig gesichertes Loch fällt und sich die Knochen bricht. Wie hätte der arme Kerl denn auch wissen sollen, daß da ein Loch ist! Also, wenn der Gesetzgeber solche Paragraphen geschaffen hat, muß man auch den Eltern erlauben, einen Schlagbaum für einen Balken zu halten und nicht für eine Todesfalle. Verstehen Sie mich bitte! Mein Motiv war ja genauso. Tilmann sollte in Freiheit erwachsen werden. Und dennoch! Ich kann oft nicht schlafen, weil mir das Gewissen schlägt. Ich liege dann wach und lese imaginäre Schlagzeilen wie ›Vater zwang Sohn zum Todestrip‹ oder …«
    »Stopp!« sagte da Frau Engert. »Sie unterschlagen etwas. Das Kind, das am Schlagbaum starb, verlor sein Leben in der unmittelbaren Folge des elterlichen Handelns. Ihr Tilmann aber überlebte den Fluchtversuch, war schnell wieder gesund und wurde dann, viel später und in einer ganz neuen Situation, von anderen getötet.«
    »Diese ganz neue Situation wäre ja gar nicht entstanden, wenn ich keinen Fluchtplan entwickelt und auch ausgeführt hätte.«
    »Nein, nein, mein lieber Paul Kämmerer, so geht das nicht! Wenn ein Vater sein Kind auf dem Jahrmarkt in ein Karussell setzt, und bei hoher Fahrt wird, vielleicht wegen eines Montagefehlers oder wegen Materialermüdung, das Holzpferd, auf dem das Kind sitzt, aus seiner Verankerung gerissen und es kommt zu einem Unglück, dann wird man dem Vater doch nicht vorwerfen, daß er mit dem Kind zum Jahrmarkt gegangen ist. Aber zurück zum Unrechtsstaat! Drüben gab es bestimmt Menschen, die, obwohl sie ein Dach über dem Kopf hatten und weder hungern noch frieren mußten, regelrecht krank wurden, krank vor Unrecht. Ich war mal mit einer Reisegesellschaft in Südamerika, und da haben wir einen Siebentausender bestiegen, allerdings nicht bis zum Gipfel, und das Steigen fand auch nur streckenweise statt, den größten Teil des Weges haben wir im Jeep zurückgelegt. Nun, das ist nicht so wichtig. Interessant aber war, daß einige von uns da oben in der dünnen Luft ganz gut zurechtkamen und andere infolge von Atemnot kurz vorm Kollaps waren. Ich glaube, einen solchen Vergleich darf man heranziehen, wenn die Frage gestellt wird, ob ein Verbleib in der DDR zumutbar war oder nicht. Die einen waren in der Lage, sich zu arrangieren, und die anderen drohten zu ersticken in der dünnen Luft der Unfreiheit. Ganz sicher gehörten Sie zu denen mit der Atemnot. Darum mußten Sie fliehen, und weil Tilmann zu jung war, mußten Sie für ihn mitentscheiden …«
    Eine ganze Stunde noch blieben sie draußen auf der Terrasse, sprachen miteinander, hingen ihren Gedanken nach.

38
    »Hier!« sagte Frau Engert, als sie am nächsten Morgen vom Kiosk kam. »Es steht schon drin!« Die Nachtredaktion hatte die Meldung noch in der Sonntagsausgabe untergebracht und auch das Polizeifoto mitgeliefert.
    »Also können wir Vogt die Neuigkeit sogar schwarz auf weiß liefern«, meinte sie dann, ging aber zunächst mit Kämmerer ins Wohnzimmer und las ihm den Bericht vor:
    »Hamburg. Am Sonnabend gegen 22 Uhr wurde in unmittelbarer Nähe des Hotels PLAZA der ehemalige Stasi-Major Frank Kopjella (nebenstehendes Foto) erschossen. Die Kugel traf den Ex-Offizier, der unter dem Namen Theo Bärwald im PLAZA abgestiegen war, ins Herz. Er war auf der Stelle tot. Seine wahre Identität konnte so schnell ermittelt werden, weil er wegen eines Verbrechens, das er während seiner aktiven Zeit begangen haben soll, zur Fahndung ausgeschrieben war.
    Nach den vorliegenden Zeugenaussagen hat kurz nach dem Mordanschlag ein mittelgroßer, schlanker, vierzig bis fünfzig Jahre alter Mann in hellgrauem Anzug den Tatort fluchtartig verlassen. Ein Taxi-Chauffeur sagte später aus, er habe, nachdem die Zentrale alle Fahrer über den Flüchtigen informiert hatte, in seinem Fahrgast den Beschriebenen wiedererkannt, sei jedoch, als er Meldung machen wollte, von ihm mit einer Pistole bedroht und so lange in Schach gehalten worden, bis der Verdächtige habe verschwinden können.
    Dieser Mord ist bereits der zweite mysteriöse Todesfall eines ehemaligen Stasi-Offiziers in Hamburg. Vor einiger Zeit starb unter noch nicht endgültig geklärten Umständen der Ex-Oberstleutnant Horst Fehrkamp in seiner Wohnung am
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