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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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dominieren. Sich ein neues Taxi heranzuwinken, wagte er nicht, und sein bei PLANTEN UN BLOMEN abgestelltes Auto kam für den Rückweg auch nicht in Frage, hatte er doch, bevor die Durchsage kam, dem Fahrer dieses Ziel genannt. Er mäßigte seinen Schritt, ging durch die Hallerstraße, erreichte den Mittelweg, bog nach links ein. Hier kannte er sich aus. Er blieb zunächst auf dem Mittelweg, wandte sich dann erneut nach links und gelangte über die Oberstraße zurück in die Rothenbaumchaussee, wollte zur U-Bahn-Station Klosterstern.
Nach sieben Minuten war er da. Erst die zweite der ankommenden Bahnen fuhr in seine Richtung. In Ohlsdorf mußte er umsteigen, und dann ging es durch bis zur Endstation.
Viele Fragen waren während der Fahrt auf ihn eingestürmt, vor allem diese. War es wirklich Frank Kopjella, der da wenige Meter vor mir, von einer Kugel getroffen, zu Boden geschickt wurde? Reichen Frau Engerts Beschreibung des Mannes und meine Erinnerung an ein paar alte Fotos aus, um ganz sicher sein zu können?
Er brauchte Gewißheit, und so ging er, sobald er den kleinen Bahnhof verlassen hatte, in die nächste Telefonzelle, suchte die Nummer des PLAZA-Hotels heraus, wählte sie. Es meldete sich die Zentrale. Eine Frauenstimme.
»Guten Abend. Ich muß dringend einen Ihrer Gäste sprechen. Er wartet auf meinen Anruf. Es ist ein Herr Bärwald, der vorgestern bei Ihnen abgestiegen ist. Bitte, es geht um Leben und Tod!«
Vielleicht war es seine letzte Bemerkung, die ihm zu der gewünschten Information verhalf. Die Frau antwortete nämlich:
»Tut mir leid, dafür ist es zu spät. Herr Bärwald wurde vor anderthalb Stunden Opfer eines Anschlags. Hier vor unserem Haus wurde er erschossen. Darf ich Ihren Namen erfahren?«
»Erschossen? Mein Gott!«
»Ihren Namen bitte!«
»Ekström. Ich rufe aus Malmö an. Er ist also tot?«
»Ja, er ist tot. Ich verbinde Sie jetzt mit einem Kriminalbeamten. Einen Moment bitte.«
Er hängte ein, verließ die Zelle. Auch hier wollte er in kein Taxi einsteigen, nahm lieber den halbstündigen Fußweg in Kauf.

37
    Zwei Uhr in der Nacht. Sie saßen auf der Terrasse. Es war milde, fast warm. Auf dem Tisch zwischen ihnen brannte ein Windlicht. Kopjella war tot, die Jagd zu Ende. Dennoch waren sie nicht am Ziel. Paul Kämmerer wußte weder, wie Tilmann gestorben war, noch, wo er begraben lag. Und über den Film hatte er auch nichts Näheres erfahren.
    »So hab’ ich mir das Finale nicht vorgestellt«, sagte er. Es klang frostig.
    »Ich glaube«, antwortete sie, »daß Vogt nach dem, was geschehen ist, nun doch auspackt.«
    »Aber wer hat Kopjella getötet?«
    »Vielleicht einer wie Sie, der mit ihm eine alte Rechnung zu begleichen hatte und dem es nicht genügte, ihn vor den Richter zu bringen. Wiedervereinigung, das bedeutet Wegfall der Grenze, Freiheit auch für die anderen, Schluß mit der Verfolgung, aber es bedeutet auch Jagdzeit, denn nun drehen die Verfolgten den Spieß um. Und ich finde, sie tun es zu Recht, jedenfalls da, wo die Fälle eindeutig sind. Doch was ist mit dem Mann aus der Mitte, der den Druck von oben bekam und ihn nach unten weitergab? Da wird es schwierig sein, Recht zu sprechen.« Sie machte eine Pause, und als er nicht antwortete, fuhr sie fort: »Die Sache mit Ihrem Tilmann aber ist eindeutig.«
    »Vor einiger Zeit«, sagte er, »wurde im Fernsehen ein Fall dargestellt, der mich sehr bewegt hat. Ein Ehepaar mit drei kleinen Kindern hielt es in der DDR nicht mehr aus. Sie konnten es nicht ertragen, ihre Kinder in einem Unrechtsstaat aufwachsen zu sehen. Eines Tages wagten sie die Flucht, wollten im Pkw über die tschechische Grenze, fast in der Weise, wie wir damals auf dem Mähdrescher geflohen sind. Sie hatten allerdings das Auto nicht verstärkt, nur innen mit Kissen abgepolstert, und es ging auch nicht gegen den Zaun, es ging gegen den Schlagbaum. Doch genau da lauerte die Tücke. Dieser Schlagbaum war nämlich nicht aus Holz, wie sie gedacht hatten, sondern bestand aus einem mit Beton gefüllten Stahlrohr, und das rasierte ihnen beim Durchbrausen das Dach weg. Ja, und dabei kam eins der Kinder ums Leben. In der Sendung ging es dann zunächst darum, ob ein Verbleib in der DDR für sie zumutbar gewesen wäre, und danach wurde die Frage behandelt, ob die Eltern das Leben ihrer Kinder leichtfertig aufs Spiel gesetzt und sich also der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hätten. Es gab zahlreiche Stimmen, die das bejahten. Ich meine aber, und dieser Aspekt wurde in
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