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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Bord gegangen, stieg die erste heimliche Geliebte des Kapitäns aufs Schiff. Für sie und ihre zahlreichen Nachfolgerinnen hatte Don Francisco das Seitengemach errichten lassen. Nun hätte man meinen können, ein Schiffsführer, der noch dazu der Eigner war, müßte die Vollmacht haben, an Bord zu holen, wen er wollte. Wer so urteilte, hatte nicht mit Dona Eugenia gerechnet, die nämlich unvermutet in jedem Hafen der Welt auftauchen konnte. Einzig und allein für den Fall einer solchen Überraschung war die bodega geplant und erstellt worden. Die Sauerstoffzufuhr war übrigens durch ein Luftsieb geregelt, das jeder, der sich im Salon aufhielt, sehen konnte. Ein gleiches Sieb befand sich, in gleicher Höhe und mit gleichem Abstand von der Außenwand angebracht, im Store. Sah man sich die beiden Exemplare an, so war man sicher, es handelte sich um Vorder- und Rückseite ein und desselben Gegenstandes.
    Damals, als die schmucke CAPRICHO überall, wo sie vor Anker ging, Staat machte, war der Steward Ingnacio Munoz der Vertraute Franciscos. Während der Hafenliegezeiten bekam er ein Extrageld, und zwar dafür, daß er nicht an Land ging, sondern seinem Herrn diente, indem er an der Reling stand und Ausschau hielt, ob Dona Eugenia, wie so oft, mit einem Taxi vom Flughafen angebraust kam. Wenn es so war, verließ Ignacio, bevor sie auch nur die Gangway erreicht hatte, seinen Posten, klopfte an die Tür des Kapitänssalons und meldete lapidar:
    » Señor capitán, tiene que esconder a Laura! « Herr Kapitän, Sie müssen Laura verstecken! Oder Maria. Oder Patricia. Oder Susan.
    Heinrich Nielson, der nun, fast drei Jahrzehnte später, das Schiff befehligte, wußte von den heimlichen Amouren des ersten CAPRICHO-Kapitäns. Der Steward Ignacio, den es noch einmal auf sein altes Schiff getrieben hatte, als es mal wieder in Malaga lag, hatte ihm davon erzählt und auch berichtet, daß Don Francisco und Dona Eugenia schon vor langer Zeit gestorben waren.
    War die CAPRICHO in ihren jungen Jahren ein schmucker Kauffahrer gewesen, so präsentierte sie sich jetzt, im Januar des Jahres 1990, als ein völlig heruntergekommenes Schiff. Überall blätterte die Farbe ab, so daß die rote Mennige durchkam und der Schiffsrumpf aussah wie ein riesiger Scharlachbauch. Das Tauwerk war alt und verschlissen. Die Logis der Besatzung waren verwahrlost, und auch der Kapitän und die Offiziere hausten in Unterkünften, die seit Jahren einer gründlichen Renovierung bedurften. Selbst um das Herzstück der CAPRICHO, die Maschine, war es schlecht bestellt. Sie war nur bedingt funktionstüchtig, und das wirkte sich nachteilig auf die Geschwindigkeit des Schiffes aus, konnte aber auch zur Manövrierunfähigkeit führen. Immer wieder hatte Nielson die Reederei auf die dringende Notwendigkeit zahlreicher Reparaturen hingewiesen, aber die Herren in Antofagasta reagierten nicht, kassierten nur ihre Frachtgelder, die legalen, und hofften, ihr Seelenverkäufer dampfe noch möglichst lange und mit möglichst geringen Betriebskosten über die Weltmeere. So hatte sich Nielson schließlich für den Rest seiner Fahrenszeit eine Perspektive zurechtgeschustert, mit der er über die Runden zu kommen hoffte: Er war zweiundsechzig Jahre alt und wollte in den nächsten Jahren noch so viel Geld scheffeln, wie es seine Geschäfte, die sauberen und die schmutzigen, nur irgend erlaubten. Alles andere war zweitrangig. Da die Besatzung der CAPRICHO nicht gerade zur seemännischen Elite gehörte – wenn die Männer zusammenlegten, kamen sie auf gut zwei Dutzend Knastjahre –, wurden die zahlreichen Mängel kaum reklamiert, und das erleichterte ihm die Arbeit.
    Dafür, daß der TÜV den Veteranen immer noch unbeanstandet ließ, war gesorgt. Nielson hatte prächtige Schiffspapiere, in Griechenland gefälscht, und wenn er sie vorzeigen mußte, pflegte er zu sagen: »Meine Herren, Sie werden die CAPRICHO doch nicht an ihrer Garderobe messen! Sie ist ein armes, aber gesundes Mädchen.« Die Armut hatten die Männer in Augenschein genommen; die Gesundheit stand in den Papieren, bei deren Lektüre allerdings ihn selbst das Gefühl beschlichen hatte, da habe ein korrupter Amtsarzt einer dahinsiechenden Alten ungebrochene Vitalität bescheinigt.
    Es war früh am Morgen. Nielson saß in seinem schäbigen Salon und rechnete. Das tat er oft, und dabei ging es nicht um Kalkulationen, die Kurs und Geschwindigkeit der CAPRICHO betrafen – das machte der Erste Offizier –, sondern um seine
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