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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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ungenutzt im Badezimmerschränkchen.
»So«, sagte sie, »von mir aus kann’s jetzt zum Abendessen gehen.«
Sie begaben sich ein Stockwerk tiefer in die Offiziersmesse und setzten sich an den schon gedeckten Tisch. Eine Weile später kamen der Kapitän sowie die wachfreien Offiziere und Ingenieure. Es gab Rinderrouladen und Reis. Reis gab es zu fast jeder Mahlzeit, weil die Mannschaft zu achtzig Prozent aus Asiaten bestand; die meisten der Männer kamen von den Philippinen.
Der Erste Offizier, ein junger Inder aus Madras, hatte statt der Roulade ein halbes Hähnchen auf seinem Teller. Dem kleinen Arndt war eine ähnliche Abweichung vom allgemeinen Speiseplan schon am ersten Tag der Reise aufgefallen, und später, in der Kabine, hatte er seinen Vater gefragt, warum Herr Mahrani etwas anderes zu essen bekomme. Jacob Thaden hatte es ihm erklärt, und daraufhin hatte der Junge gemeint: »Wenn sie die Kühe verehren, müssen sie ihnen eigentlich auch immer ganz freundlich guten Tag sagen. Tun sie das?« – »Frag Herrn Mahrani danach!« hatte der Vater gesagt, »er kann ja ein bißchen Deutsch.« Das hatte Arndt bis jetzt noch nicht gewagt. Aber vor Ende der Reise sollte es unbedingt geschehen, denn es war etwas, wovon er zu Hause seinen Freunden erzählen wollte.
Und bestimmt war es auch noch etwas für den Sommer, wenn es losging mit der Schule! Sein Lehrer würde staunen, wenn er das mit den heiligen Kühen erfuhr! Das Schlingern war stärker geworden.
»Wir haben ein kleines Sturmtief erwischt«, sagte Frank Baumann. Er war Mitte Vierzig, nicht sehr groß, aber schlank und durchtrainiert, hatte fast schwarzes Haar und braune Augen.
Man konnte ihn sich gut vorstellen als Kapitän auf einer Mittelmeer-Fähre. Aber er war Deutscher.
Das Geschirr geriet in Bewegung, und immer wieder griffen Hände über den Tisch, um eine Schüssel zu halten oder einen Teller oder ein Glas. Die Tischkante hatte zwar kleine erhabene Ränder, die das Herunterrutschen von Gegenständen verhindern sollten, aber bei zu starkem Seegang nützte selbst diese Barriere nichts. Arndt fand die unruhige Tafel lustig.
Der Zweite Offizier, Jürgen Krämer, war ein schweigsamer Mann, ein Deutscher aus Greifswald, der sich vor einigen Jahren in Kiel von einem DDR-Schiff abgesetzt hatte und seitdem auf der MELLUM fuhr. Er bedachte Sigrid Thaden mit bewundernder Aufmerksamkeit, reichte ihr die Platten und Schüsseln, auch wenn sie ihr zum Greifen nah waren, hätte ihr bestimmt vor jedem Essen den Stuhl zurechtgerückt, wenn der nicht am Fußboden festgeschraubt gewesen wäre, und streifte sie oft mit verstohlenen Blicken. Aber seine Bewunderung hatte nichts Aufdringliches, und Jacob Thaden rechnete sie der besonderen Lage zu, in die Seeleute kommen, wenn plötzlich eine schöne junge Frau an Bord ist. Er mochte den Mann, der sich auch ihm gegenüber freundlich verhielt und ihm schon das ganze Schiff gezeigt hatte.
Nach dem Essen wollte Jacob Thaden noch einmal aufs Vorschiff, um ein paar Fotos zu machen. Wegen des starken Seegangs und der Ölflecken, die sich hier und da auf den eisernen Platten ausbreiteten, scheuten Sigrid und Arndt den gut hundertfünfzig Meter langen Weg dahin, und so ging er allein.
Auf der Back stellte er sich an die Schanz und sah nach achtern.
Das mußte ein beeindruckendes Bild geben: das Schiff in seiner gesamten Länge! Der Blick über die fünf Luken hinweg auf die emporragenden Aufbauten wie auf ein mitten im Meer errichtetes Haus! Dazu ganz im Vordergrund ein riesiges Gold, denn da verlief die Ankerkette, die mit ihrer leuchtenden Rostschicht wie tausendfach vergrößerter indianischer Schmuck aussah.
Und ganz hinten der Abendhimmel, ein ins Violett spielendes Rosa, durchsetzt vom Grau der schmalen, waagerecht gezogenen Wolkenstriche.
Er hob die Kamera an die Augen, drückte mehrmals auf den Auslöser, jeweils mit geringfügigen Positionsveränderungen, dachte dabei voraus, stellte sich vor, daß eins der Bilder schon bald nach der Rückkehr vergrößert und gerahmt in seinem Büro hängen würde, zur Erinnerung an die schönen Tage auf dem Atlantik, aber auch als Ausdruck dessen, was er unter Ferien verstand. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, einen Musikdampfer zu besteigen, mit einer Heerschar von Pensionären an Quizveranstaltungen teilzunehmen, sich bei jeder Mahlzeit von mindestens drei im Range unterschiedlichen Stewards bedienen zu lassen und die durchorganisierten Tropennächte in der ganzen lärmenden Herde zu
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