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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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kann denn in diesem Falle Schrecken bedeuten, wenn nicht die Möglichkeit, daß einer mit dem Zeug einen Krieg anfängt oder, sofern ein herkömmlicher Krieg schon im Gange ist, eine Seite es einsetzt, um die drohende Niederlage abzuwenden? Wenn absolut feststünde, daß keiner es je benutzen wird, wären doch alle Theorien von der Balance unsinnig, und man hätte sich längst auf die NullBalance geeinigt. Außerdem: Wenn Giftgas zum Einsatz käme, wäre es ja auch nicht das erste Mal. Wir selbst waren es, wir Deutschen, die 1915 bei Ypern mit hundertsiebzig Tonnen Chlorgas gegen die Franzosen kämpften. Das Resultat: Fünftausend Franzosen starben einen qualvollen Tod, und fünfzehntausend wurden mit verätzten Lungen in die Spitäler eingeliefert. Aber was bei Wasloh liegt, ist leider kein Chlorgas, sondern VX.« Er sah seine Frau so eindringlich an, als hinge wer weiß was davon ab, sie zu überzeugen. Dann fuhr er fort:
»VX, das klingt so harmlos wie das Kürzel für einen Staubsauger, und dabei gehört es zum Teuflischsten, was Menschen je erfunden haben. In seiner verheerenden Wirkung steht es den Atom-, den Wasserstoff- und den Neutronenbomben kaum nach. Es greift unser Nervensystem an und zerstört es. Zwei bis drei Tausendstel Gramm reichen aus, um einen Erwachsenen umzubringen. Mit dem Kontingent von Wasloh könnte man – rein rechnerisch – die gesamte Erdbevölkerung vierzigmal auslöschen. Aber weiter! Man sagt, das Wasloher Kontingent sei nur ein Zehntel dessen, was die Amerikaner insgesamt besitzen, denn natürlich haben sie das Zeug auch bei sich zu Hause liegen. Also das Ganze mal zehn! Sind vierhundertmal. Dazu kommt das, was der WARSCHAUER PAKT hat, und das ist sicher nicht weniger als das, was der Westen hat. Dann sind wir schon bei achthundert. Doch das ist nur das VX. Dann kommen noch das Sarin, das Tabun, das Soman, das Blaukreuz, das Gelbkreuz, das Senfgas und was weiß ich noch alles. Es ist mit Sicherheit nicht zu hoch gegriffen, wenn ich sage, daß das c-Waffenpotential der ganzen Welt ausreicht, um – wieder rein rechnerisch – die Vernichtung der Menschheit tausendmal zu betreiben. Klar, es funktioniert nur einmal, aber wir wollen da wohl absolut sichergehen und machen es daher nicht unter dem Faktor tausend. So, das wäre das C, nicht das hohe, sondern das niedrigste, verabscheuungswürdigste c, das es je gegeben hat. Dazu kommt das A, das für Atom steht. Da kann ich die Rechnung nicht machen, weil mir die Daten fehlen, aber jeder weiß, daß wir’s mit dem A ebenfalls etliche Male schaffen könnten, alles Leben auf unserem Globus auszulöschen. Man sollte doch meinen, Tschernobyl sei ein Signal gewesen. War es nicht. Wie dick müssen bei uns die Signale eigentlich kommen, damit wir sie wahrnehmen? Na ja, und dann gibt es ja auch noch das B, das für die Biologie steht. Weißt du, daß ›bios‹ Leben heißt? Ausgerechnet Leben! Aber wir Menschen halten offenbar viel mehr vom Sterben, und darum stellen wir die biologischen Waffen her. Viren. Bakterien. Bazillen. Sporen. Keime. Wir kämpfen verzweifelt gegen Krebs und gegen Aids, verleihen Nobelpreise an Leute, die etwas erfinden, womit man Seuchen eindämmen kann, und auf der anderen Seite arbeiten wir fieberhaft an Mitteln, durch die wir sie künstlich erzeugen können! Da ist es doch nun wirklich keine Frage mehr, daß die Leute, die über diese Dinge entscheiden, schwer krank sind. Geistig. Psychisch. Daß sie in die Klapsmühle gehören. Man spricht so oft von der Ächtung der A-, B- und C-Waffen. Wie pervers! Ich halte viel mehr davon, die Menschen zu ächten, die ihre Stimme abgeben für ein solches Waffenprogramm!« Er machte eine Pause, stand auf und begann, am Tisch entlang auf und ab zu gehen.
»Weißt du, wie das VX wirkt?« fragte er dann. »Du sagtest es bereits. Es wirkt auf unser Nervensystem.«
»Ja, aber wie! Ich habe mich mit dem Gift befaßt, das hier vor meiner Haustür liegt. Ach, übrigens, erinnerst du dich noch daran, welchen Ärger Fehrenkamps hatten, als sie sich weigerten, mit ihren Abwässern an die Kanalisation zu gehen?«
Katharina nickte.
»Es hieß, ihre Klärgrube sei eine Gefahr für die Allgemeinheit. Bei einer Panne könne lästiger Geruch entstehen. Sie mußten ein Ordnungsgeld zahlen und dann doch anschließen. Natürlich, ihre Weigerung war zu einem großen Teil Dickköpfigkeit, denn es hat schon seinen Sinn, daß eine neu gebaute Kanalisation auch von allen genutzt wird, wegen der gerechten
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