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1974

1974

Titel: 1974
Autoren: David Peace
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grauen Fenster der Millgarth Police Station und spiegelte sich in dem Öl seiner Haare.
    Mir war schlecht.
    »Sir«, sagte ich und schluckte wieder. »Chief Superintendent …«
    Seine winzigen Haifischaugen tasteten mich vollständig ab.
    »Reden Sie weiter, mein Sohn«, sagte er blinzelnd.
    »Ich habe mich gefragt, ob es etwas Neues gibt?«
    »Nichts«, dröhnte er. »36 Stunden und nicht die kleinste Spur. Hunderte von Polizisten, Verwandten und Ortsansässigen. Nichts.«
    »Was ist Ihre persönliche …«
    »Tot, Mr. Dunford. Das arme kleine Ding ist tot.«
    »Ich frage mich, was Sie …«
    »Es sind einfach verdammt grausame Zeiten, mein Sohn.«
    »Ja«, sagte ich schwach und dachte, wie kommt es dann, daß Sie immer nur Zigeuner, Irre und Iren verhaften?
    »Das beste wäre, jetzt so schnell wie möglich die Leiche zu finden.«
    Mein Magen hüpfte: »Was glauben Sie …«
    »Ohne Leiche können wir überhaupt nichts machen. Auf lange Sicht hilft das auch der Familie.«
    »Und was wird …«
    »Die Mülltonnen abklappern, kontrollieren, wer sich aus dem Staub gemacht hat.« Oldman lächelte beinahe und dachte kurz darüber nach, wieder zu blinzeln.
    Ich schnappte nach Luft. »Und was ist mit Jeanette Garland und Susan Ridyard?«
    DCS George Oldman klappte den Mund leicht auf und fuhr sich mit einer fetten, feuchten, rötlichgelben Zunge über die schmale Unterlippe.
    Ich dachte schon, ich würde mir auf der Stelle mitten in Oldmans Büro in die Hose machen.
    George Oldman holte seine Zunge wieder ein, schloß den Mund, und seine winzigen schwarzen Augen starrten in meine.
    Es klopfte leise an der Tür, und Julie brachte zwei Tassen Tee auf einem billigen geblümten Tablett herein.
    Oldman sah mich weiter an, lächelte und sagte: »Danke, Julie, Schätzchen.«
    Julie schloß die Tür hinter sich.
    Unsicher, ob ich noch immer sprechen konnte, murmelte ich:
    »Jeanette Garland und Susan Ridyard gingen beide …«
    »Ich weiß, was verdammt noch mal passiert ist, Mr. Dunston.«
    »Nun, ich frage mich nur, wenn ich an Cannock Chase denke …«
    »Was zum Teufel wissen Sie über Cannock Chase?«
    »Die Ähnlichkeit …«
    Oldman ließ die Faust auf den Tisch donnern. »Raymond Morris sitzt seit 1968 hinter Schloß und Riegel, verdammt.«
    Ich sah die beiden kleinen weißen Tassen auf dem Tisch hüpfen. So ruhig und besonnen, wie ich nur konnte, sagte ich: »Tut mir leid. Ich wollte nur sagen, daß auch in jenem Fall drei kleine Mädchen ermordet wurden und es sich später als die Tat eines einzelnen herausgestellt hat.«
    Oldman beugte sich vor, stützte die Arme auf den Tisch und höhnte: »Die Kleinen wurden vergewaltigt und ermordet, Gott schütze sie. Und ihre Leichen hat man gefunden.«
    »Aber, Sie sagten doch …«
    »Ich habe keine Leichen, Mr. Dunfield.«
    Wieder schluckte ich und sagte: »Aber Jeanette Garland und Susan Ridyard werden seit über …«
    »Sie halten sich wohl für den einzigen Penner, der zwei und zwei zusammenzählen kann, Sie eingebildeter kleiner Fatzke«, sagte Oldman leise, nahm einen Schluck und starrte mich an.
    »Das könnte sogar meine senile alte Mutter.«
    »Ich habe mich nur gefragt, was Sie davon halten …«
    DCS Oldman schlug sich auf die Oberschenkel und lehnte sich zurück. »Also, was haben wir denn Ihrer Meinung nach in der Hand?« fragte er lächelnd. »Drei vermißte Mädchen. Ungefähr im selben Alter. Keine Leichen. Castleford und …«
    »Rochdale«, flüsterte ich.
    »Rochdale und jetzt Morley. Etwa drei Jahre zwischen jedem Fall?« sagte er und hob fragend eine Augenbraue.
    Ich nickte.
    Oldman nahm eine Schreibmaschinenseite vom Tisch. »Und was ist damit ?« fragte er, warf mir das Blatt über den Schreibtisch vor die Füße und sagte auswendig: »Helen Shore, Samantha Davis, Jackie Morris, Lisa Langley, Nichola Haie, Louise Walker, Karen Anderson.«
    Ich hob die Liste auf.
    »Vermißt, allesamt. Und das sind nur die Fälle seit Anfang ‘73«, sagte Oldman. »Alle ein wenig älter, zugegeben. Aber alle unter fünfzehn, als sie verschwanden.«
    »Tut mir leid«, murmelte ich und reichte ihm das Blatt über den Tisch.
    »Behalten Sie’s. Schreiben Sie darüber von mir aus eine verdammte Story.«
    Auf dem Schreibtisch klingelte das Telefon, ein Licht blinkte. Oldman seufzte und schob mir eine der weißen Tassen hin. »Trinken Sie, bevor er kalt wird.«
    Ich tat wie geheißen, nahm die Tasse und stürzte die kalte Brühe hinunter.
    »Um ehrlich zu sein, junger Mann,
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