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1974

1974

Titel: 1974
Autoren: David Peace
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Wetter, wenn man eine Ente ist«, sagte Mr. Ridyard.
    Wir gaben uns die Hand, und Mr. Ridyard führte mich durch einen winzigen Flur ins dunkle Vorderzimmer.
    Mrs. Ridyard saß in Hausschuhen auf dem Sofa, links und rechts neben sich ein Mädchen und einen Jungen im Teenageralter. Sie hatte ihre Arme um beide gelegt.
    Sie warf mir einen kurzen Blick zu, flüsterte: »Geht eure Zimmer aufräumen«, und drückte beide kurz, bevor sie sie losließ.
    Die Kinder senkten den Blick zu Boden und gingen hinaus.
    »Setzen Sie sich bitte«, sagte Mr. Ridyard. »Möchte jemand Tee?«
    »Danke, gern«, antwortete ich.
    »Liebes ?« fragte er seine Frau, als er das Zimmer verließ.
    Mrs. Ridyard war tief in Gedanken versunken.
    Ich setzte mich gegenüber dem Sofa hin und sagte: »Hübsches Haus.«
    Mrs. Ridyard blinzelte im Dämmerlicht und zupfte sich an der Haut ihrer Wangen.
    »Nette Gegend«, fügte ich hinzu; die Worte verreckten, aber nicht schnell genug.
    Mrs. Ridyard hockte auf der Sofakante und starrte durchs Zimmer auf das Schulporträt eines kleinen Mädchens, das zwischen zwei Weihnachtskarten auf dem Fernseher hervorlugte.
    »Bevor die neuen Häuser da gebaut wurden, hatten wir eine hübsche Aussicht.«
    Ich sah zum Fenster hinaus über die Straße auf die neuen Häuser, die die Aussicht verdarben und so neu auch nicht mehr wirkten.
    Mr. Ridyard kam mit dem Tee auf einem Tablett herein, und ich zog mein Notizbuch aus der Tasche. Er setzte sich neben seine Frau aufs Sofa und sagte. »Soll ich einschenken?«
    Mrs. Ridyard löste ihren Blick von dem Photo und betrachtete nun das Notizbuch in meinen Händen.
    Ich beugte mich auf meinem Platz vor. »Wie ich schon am Telefon sagte, fanden mein Chefredakteur und ich, es sei an der Zeit … also, ich bin daran interessiert, eine Folgestory …«
    »Eine Folgestory?« fragte Mrs. Ridyard und starrte weiter das Notizbuch an.
    Mr. Ridyard reichte mir eine Tasse Tee. »Hat das was mit dem kleinen Mädchen drüben in Morley zu tun?«
    »Nein. Nun, zumindest nicht direkt.« Der Stift in meiner Hand fühlte sich weich und heiß an, das Notizbuch lästig und allzu auffällig.
    »Geht es um Susan?« Eine Träne fiel auf Mrs. Ridyards Rock.
    Ich riß mich zusammen. »Ich weiß, es muß schwer sein, aber wir wissen, wieviel von Ihrer Zeit Sie, ähm, in diese Sache investiert haben und …«
    Mr. Ridyard stellte seine Tasse ab. »Von unserer Zeit?«
    »Sie beide haben so viel dafür getan, daß Susan weiter im öffentlichen Interesse steht und die Untersuchung am Leben bleibt.«
    Leben, Scheiße.
    Die Ridyards sagten kein Wort.
    »Und ich weiß, Sie müssen das Gefühl gehabt haben …«
    »Gehabt haben?« fragte Mrs. Ridyard.
    »Das Gefühl …«
    »Tut mir leid, aber Sie haben keine Ahnung von unseren Gefühlen.« Mrs. Ridyard schüttelte den Kopf, ihr Mund bewegte sich weiter, nachdem die Worte gesagt waren, Tränen kullerten.
    Mr. Ridyard sah mich durchs Zimmer an, und sein Blick war voller Bedauern und Schamgefühl. »Uns ging es schon so viel besser bis zu dieser Sache, nicht?«
    Niemand antwortete ihm.
    Ich sah zum Fenster hinaus über die Straße zu den neuen Häusern, in denen noch zur Mittagszeit das Licht brannte.
    »Um diese Uhrzeit könnte sie zu Hause sein«, sagte Mrs. Ridyard leise und wischte die Tränen in den Rock.
    Ich stand auf. »Es tut mir leid. Ich habe Sie lange genug belästigt.«
    »Mir tut es leid«, sagte Mr. Ridyard, der mich zur Haustür brachte. »Es ging uns schon so viel besser. Wirklich. Aber diese Sache in Morley hat alles wieder aufgewühlt.«
    An der Tür drehte ich mich um und sagte: »Tut mir leid, aber nach Durchsicht der Zeitungsberichte und meiner Notizen sieht es ganz so aus, als hätte die Polizei keine heiße Spur gehabt. Ich frage mich, glauben Sie nicht, die Polizei hätte mehr tun können?«
    »Mehr?« fragte Mr. Ridyard mit einem halben Lächeln.
    »Irgendein Hinweis, der …«
    »George Oldman und seine Leute haben zwei Wochen lang hier im Haus gehockt und telefoniert.«
    »Und es gab nichts …«
    »Ein weißer Lieferwagen, das war das einzige, wovon sie die ganze Zeit faselten.«
    »Ein weißer Lieferwagen?«
    »Daß sie Susan finden würden, wenn sie diesen weißen Lieferwagen fänden,«
    »Und die Rechnung haben sie auch nie bezahlt.« Mrs. Ridyard stand mit rotem Gesicht am anderen Ende des Flurs. »Beinahe hätten sie uns das Telefon abgestellt.«
    Am oberen Treppenabsatz konnte ich die Köpfe der beiden Kinder sehen, die über das
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