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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern
Autoren: Stephanie Seidel
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unbedacht er sich in den Tempel von Borobundu locken ließ! Seine Suche nach dem verschollenen Schwert war an Leichtsinn kaum zu übertreffen! (siehe MADDRAX 178 »Die vergessene Macht«) Ganz abgesehen davon, dass sie mich fast das Leben gekostet hätte!) Er warf einen missmutigen Blick auf das Schwert. Es war mit der Spitze voran aus der Luft gefallen und steckte aufrecht im Boden, nur ein paar Meter entfernt. Die Klinge war beidseitig scharf geschliffen und zeigte am Ansatz breite Schwingen. Sie gehörten dem Drachen von Cornwall, mit dessen Kopf der lange, teils vergoldete Griff begann. Rubine formten die Augen. Der Abendstern spiegelte sich daran und brachte sie zum Funkeln.
    (Nuntimor),
    sagte eine Stimme sehnsüchtig in Grao’sil’aanas Kopf. Der Daa’mure fuhr zusammen. Er musste sich erst aus seiner Überlegung befreien, das ungeliebte Schwert während Daa’tans Wachstumsphase in der nächstbesten Felsspalte zu entsorgen, ehe er begriff, wem die Stimme gehörte.
    (Daa’tan! Du bist erwacht?)
    (Ich spüre nichts mehr. Hast du mich schon begraben, Grao?)
    (So gut wie.) Grao’sil’aana beugte sich herunter. Es wurde bereits dunkel, und man musste genau hinsehen, um den fahlweißen Fleck im Blättergewirr noch als Gesicht zu erkennen. Daa’tans Augen waren geschlossen, und er lag da wie tot. Seine zurück erlangte Fähigkeit zu sprechen war ein Indiz dafür, dass sich Körper und Geist getrennt hatten.
    Grao’sil’aana nahm eine Handvoll Blätter und deckte ihn vollends zu.
    (Wo ist mein Schwert, Grao?), klang es im nächsten Moment in seinem Kopf. (Hast du es etwa weggeworfen?) (Natürlich nicht.) Der Daa’mure verzog keine Miene.
    (Warum sollte ich das tun?)
    (Weil du mir ständig sagst, dass es kein Spielzeug ist. Wehe, du wirfst es weg!)
    (Das werde ich nicht.) Grao’sil’aana erhob sich, ging zu dem Schwert und zog es mit einem Ruck aus dem Boden.
    Suchend sah er sich um. Gab es hier irgendwo Felsspalten?
    (Ich möchte, dass du Nuntimor zu mir legst!) (Sei nicht albern, Junge! Das macht man nur bei toten Kriegern, und du bist weder das eine noch das andere.) (Ich will es aber!)
    (Nein!)
    (Du hast doch gesagt, dass es meine Entwicklung negativ beeinflussen würde, wenn ich den Zustand der Trennung von Körper und Geist nicht entspannt und ruhig akzeptiere und mich über irgendwas aufrege.)
    (Das ist richtig.)
    (Grao! Ich rege mich auf! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie entsetzlich ich mich…) (Schon gut), unterbrach ihn der Daa’mure. (Ich werde deinen albernen Wunsch erfüllen! Aber dann möchte ich, dass du schweigst und deinen Geist öffnest! Es gibt für dich viel zu lernen während der nächsten Tage.) (Grao?)
    (Was jetzt noch?), fragte Grao’sil’aana gereizt. Er versuchte sich daran zu erinnern, was ihn auf die Idee gebracht hatte, er könnte diesen kleinen Plagegeist vermissen.
    (Ich hab dich lieb), sagte Daa’tan.
    ***
    Das Tal der Winde, in das es Grao’sil’aana und Daa’tan verschlagen hatte, war ein fünf Kilometer langer grüner Schlauch inmitten der Kata Tjuta. Es trug seinen Namen nicht ohne Grund: Zwischen den hohen, steil aufragenden Felswänden wehte ein ständiger Luftzug. Mal stärker, mal schwächer. Wenn man bei Sonnenaufgang in der noch kühlen, menschenleeren Stille des Tals lauschend verharrte, konnte man ein seltsames Wispern hören, das von den Felsen kam. Es klang wegen der unterschiedlichen Stärke des Windes, der es erzeugte, wie eine körperlose Stimme, die etwas zu erzählen hatte. Als solche wurde es bereits interpretiert, als die Anangu noch Aborigines hießen und Australien ein beliebtes Touristenziel war. Valley of the Winds stand in den Reiseführern – heute wurde das Tal Wellowin genannt. Es gehörte den Mandori, einem abgesprengten Clan des Mischvolks, der sich hier angesiedelt hatten, um eine verlorene Fähigkeit zurück zu erlangen. Die Mandori verbrachten ihre Nächte in einem unterirdischen Höhlenlabyrinth, und auch das hatte seinen Grund.
    Tagsüber arbeiteten sie meist auf den Feldern. Der Talboden war mäßig fruchtbar, und wenn es gelang, die harte Kruste zu zerschlagen, kam darunter eine Erdschicht zum Vorschein, in der Gemüse gedieh. Allerdings mussten die Pflanzen ständig bewässert werden. Vernachlässigte man diese Aufgabe, zog sich die Bodenoberfläche unter der brennenden Sonne wieder zusammen und erwürgte alles, was dem Licht entgegen keimte.
    Feldbewässerung war eine schweißtreibende Arbeit. Man überließ sie den
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