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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern
Autoren: Stephanie Seidel
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anderen überflog. Die meisten waren eng und steinig. Völlig unbrauchbar. Hier und da ragten Spuren menschlicher Existenz aus der Abenddämmerung.
    Versammlungsplätze zumeist, an denen die Anangu ihre geheimen Rituale vollzogen und den Weg in die Traumzeit suchten.
    Der Todesrochen akzeptierte, obwohl er sich die Freiheit erkämpft hatte, selbst jetzt noch die Befehle hochrangiger Daa’muren. Thgáan war darauf geprägt, das Handeln seiner früheren Herren nie zu hinterfragen. Dennoch wunderte er sich über den Sil. Er wirkte so… emotional! Das konnte keine Tarnung sein, oder eine notwendige Maßnahme, um den Prototyp besser zu kontrollieren. Letzterer hatte das Bewusstsein verloren, und außer Thgáan, dem Verbündeten, war weit und breit niemand zugegen. Also hätte sich Grao’sil’aana jetzt wieder normal verhalten können. Das tat er aber nicht.
    »Beeil dich doch endlich!«, bedrängte er Thgáan soeben – und das, obwohl es für den großen Rochen gar nicht möglich war, sich noch schneller zu bewegen.
    Thgáan beschloss, dieses merkwürdige Verhalten genau zu beobachten. Unter Umständen musste der Sol darüber informiert werden…
    Ein Tal, lang gezogen und gut anzufliegen. Jemand lebte hier, das merkte Grao’sil’aana, noch ehe er Thgáan zu landen befahl. Da waren Felder voll Salat ähnlicher Pflanzen, zwischen ihnen stand eine einfache Holzkonstruktion.
    Vermutlich befand sich darunter eine Quelle.
    Tiefer im Tal gab es kahle Bodenstellen, ausgedörrt und von der Sonne zu Stein gebrannt. Auf einer lagen mächtige Schildkrötenpanzer. Sie konnten nicht zufällig dort hingekommen sein, das verriet ihre symmetrische Anordnung.
    Sie wiesen auch nicht auf ein Massensterben hin, denn es handelte sich ausschließlich um Rückenpanzer. Andere Skelettteile fehlten.
    Deckel!, schoss es Grao’sil’aana durch den Kopf. Die Schildkrötenpanzer dienen als Abdeckung! Irgendeine intelligente Lebensform verschließt damit ihre Höhleneingänge!
    Er streckte seine mentalen Fühler aus, und tatsächlich: Unter der Erde hausten Primärrassenvertreter! Ein ganzer Clan! Wer sie waren und warum sie sich dort aufhielten, interessierte Grao’sil’aana im Moment nicht. Das konnte er später erforschen. Jetzt war nur die Frage von Bedeutung, ob diese Fremden eine Gefahr darstellten.
    Grao’sil’aana hörte aus ihren Gedanken nichts heraus, was darauf hinwies. Jemand namens Punta fühlte sich ungerecht behandelt, weil er für seine Verspätung gerügt wurde, doch das war’s auch schon.
    Thgáan beendete seinen Sinkflug etwa drei Meter über Bodenniveau. Mit leichter Schwingenbewegung segelte er auf einen Baum zu, den einzigen weit und breit, der diese Bezeichnung verdiente. Es war eine mächtige Schirmakazie; Schatten spendend, dicht belaubt und mit weit ausholender Krone.
    »Perfekt!« Grao’sil’aana nickte erleichtert. »Setz uns ab, Thgáan!«
    Der Todesrochen gehorchte und startete dann gleich wieder durch. Grao’sil’aana hatte noch einen letzten Befehl für ihn.
    Während der Daa’mure Daa’tan unter den Baum trug, schraubte sich Thgáan in lichte Höhen. Er stieg bis über die Berggipfel und segelte dort in Schräglage einen Halbkreis.
    Dann kippte er in die Waagerechte und kehrte zurück.
    Sein Schatten eilte ihm voraus beim Flug über die Kata Tjuta. Er floss ihre Hänge herunter, verschwand und tauchte am nächsten Gipfel wieder auf. Wie ein Spuk. Thgáan nahm regelrecht Anlauf. Daa’tan musste unter die Erde, doch die sengende Sonne hatte den Boden so festgebacken, dass niemand in der Lage war, mit bloßen Händen eine Kuhle auszuhebern Dafür brauchte man entweder Werkzeug – oder die Hilfe eines Todesrochen.
    Er kam wie ein schwarzer Dämon durchs Tal; lautlos, riesenhaft, beinahe magisch. Selbst Grao’sil’aana, der den Anblick gewohnt war, hielt einen Augenblick inne. Sie waren schon etwas Besonderes, unsere Diener! dachte er.
    Bedauerlich, dass dies der letzte ist.
    Diesmal verzichtete er darauf, mit sich selbst zu hadern wegen der Gefühle, die er nicht haben durfte und nicht haben wollte. Er hatte auch gar keine Zeit dafür.
    Thgáan war heran.
    Es wurde dunkel mit dem nahenden Rochen. Der Wind unter seinen Flügeln brachte die Schirmakazie zum Rauschen, riss an ihren Zweigen. Grao’sil’aana beugte sich schützend über Daa’tan und kniff die Augen zusammen, als ihm Blätter und aufwirbelnder Staub ins Gesicht wehten.
    Im Flug schmetterte Thgáan den Peitschenschwanz herunter.
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