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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern
Autoren: Stephanie Seidel
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unten sehen, tat es aber trotzdem und spürte, wie sich sein Magen verkrampfte.
    Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: War das nicht eher der Magen seines Wirtskörpers? Auf diese Unterscheidung hatte Grao’sil’aana immer großen Wert gelegt!
    »Das spielt jetzt keine Rolle!«, brüllte er sich selbst an.
    Daa’tans ganzes Gewicht hing an seinen Fingern. »Thgáan! Hör auf mit der Wackelei und sichere den Jungen!«
    Keuchend beobachtete er, wie ein zusätzlicher Tentakel nach Daa’tan tastete und ihn zu umschlingen begann.
    Grao’sil’aana drückte den Arm des Jungen an dessen Körper, damit auch er erfasst wurde, nahm aber die eigene Hand nicht schnell genug weg. Ein rauer Rüssel schabte darüber, und es knackte im Schultergelenk des Daa’muren, als Thgáan den Halt um Daa’tan festzog.
    Verrenkt und nicht unbedingt bester Laune ließ es Grao’sil’aana geschehen. Hielt er eben Händchen für den Rest des Fluges, auch egal. Hauptsache, Daa’tan stürzte nicht in den Tod!
    Wieder kroch ein Gedanke durch Grao’sil’aanas Bewusstsein. Der Junge war doch nur ein Prototyp! Er konnte leicht ersetzt werden, jetzt da man wusste, wie die Herstellung funktionierte. Es gab also keinen Grund, schon gar nicht für einen hochrangigen Daa’muren wie ihn, sich derart zu bekümmern.
    Warum tat er es dann?
    Grao’sil’aana fuhr sich mit der freien Hand über die Stirn.
    Er musste die gemeinsame Tarnung aufrechterhalten, durfte jetzt an nichts anderes denken! Grao’sil’aana und Daa’tan hatten eine zweite Aura aufgebaut, die sie als unbedeutende Pflanzenwesen darstellte. Auf diese Weise fielen sie durchs Raster, falls jemand die Gegend nach Telepathen – oder gar nach Daa’muren! – absuchte. Es war eine mentale Glanzleistung, mit der man die Macht im Uluru täuschen konnte.
    Nun, da der Junge ausfiel, war Grao’sil’aana die einzig verbleibende Energiequelle. Ließ er sich ablenken, brach die Aura zusammen. Danach war es nur eine Frage der Zeit, bis der rote Monolith auf sie aufmerksam wurde.
    (Grao? Ich… glaube, meine Beine… sind weg!) Daa’tans Stimme war schwach und zitterig.
    (Aber nein! Sie schlafen nur, das geht vorbei. Mach dir keine Sorgen), antwortete der Daa’mure, und seine Kehle wurde eng. Daa’tan hing wie ein Sack im Griff des Todesrochen. Das Adergeflecht an den Fingerkuppen hatte sich bereits über seine Hände ausgebreitet, und wenn er jetzt nicht schnellstens versorgt wurde, würde er sterben.
    Suchend sah sich Grao’sil’aana um. Flaches Land, so weit das Auge blickte. Trockenes Savannengras, ein paar Büsche, kahle Felsen. Soeben zerschmolz die Sonne am Horizont, und in das flammende Rot, das die Ebene umhüllte, mischten sich erste Schatten. Nicht mehr lange, dann würden die Jäger der Nacht ihre Schlafplätze verlassen und blutige Ernte halten unter all denen, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten.
    Grao’sil’aana bemerkte eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Etwas kletterte eilig an einer Felsformation hinunter. Vielleicht ein Primärrassenvertreter.
    »Thgáan! Was ist mit den Bergen da vorn? Flieg die mal an!« Der Daa’mure zeigte auf die roten Riesen jenseits der Felsformation. Er schätzte, dass es mehr als dreißig waren. Sie flammten im Abendrot, und der Wind über ihren Kuppeln war noch warm. Doch als Thgáan in die Bergwelt eintauchte, fiel die Temperatur dramatisch.
    (Mir… ist… so kalt), bibberte Daa’tan. (Und ich sehe nichts mehr! Sterbe ich, Grao?)
    (Unsinn! Das ist ein Wachstumsschub, nichts weiter.) Der Daa’mure klang barsch, doch sein Doppelherz pochte ihm wie selten sonst gegen die Rippen.
    Eigentlich waren es ja die Rippen seines Wirtskörpers.
    (Ach), zischte Grao wütend. Woher kamen diese dummen Gedanken nur? Auch noch ausgerechnet jetzt! Er wandte sich an Daa’tan. (Hör zu. Du wirst eine Weile deinen Körper nicht mehr spüren, das kennst du schon, du hast es bereits in Bulgarien erlebt. Er trennt sich von deinem Geist, um wachsen zu können. Ich erkläre es dir später genauer, aber jetzt muss ich erst mit Thgáan nach einem geeigneten Platz suchen, damit du dich dort in Ruhe entwickeln kannst.) (Und… wenn ich… das nicht… will?)
    (Möchtest du lieber ein kleiner Junge bleiben?)
    »Ich bin kein kleiner Junge!«, sagte Daa’tan trotzig. Dann sackte er vollends zusammen.
    ***
    Thgáan tat sein Bestes, um zu helfen. Er spürte die enorme Anspannung des Sil, den er umschlungen hielt, während er ein Tal nach dem
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