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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern
Autoren: Stephanie Seidel
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gehört. Er wird wissen wollen, wie du dich entwickelt hast.«
    »Dann sag es ihm doch!«
    »Oh, bitte!« Missmutig löste sich Grao’sil’aana von seinem Beobachtungsplatz am Tor. Er ging an dem Feuer vorbei, das sie wegen der einsetzenden Dunkelheit hatten entzünden müssen. Es heizte die ohnehin stickige Höhle noch zusätzlich auf. »Fang jetzt keine Diskussionen an, Daa’tan! Hilf mir lieber!«
    Grao’sil’aana bückte sich nach Daagson, der reglos am Boden lag. Gemeinsam mit Daa’tan zerrte er den großen schweren Mann zum Tor, richtete ihn auf und band ihn an der Strickleiter fest.
    Plötzlich verdunkelte sich das fahlblaue Rund über ihren Köpfen. Thgáan war eingetroffen! Lautlos schwebte der gigantische Todesrochen im Abendwind.
    Daa’tan holte sein Schwert und kletterte an Daagson vorbei ins Freie. Grao’sil’aana folgte ihm. Dann zogen sie die Strickleiter hoch.
    Der Anangu sah schlecht aus. Seine Gesichtshaut war grau, die Augen lagen tief in den Höhlen. Daa’tan betrachtete ihn skeptisch. »Wird er die Reise überleben?«
    »Selbstverständlich wird er das! Er hat keine Wahl«, sagte Grao’sil’aana, während er Daagson von den Stricken befreite und einen tastenden Rochententakel an ihn heranführte. Thgáan rollte den Anangu ein und zog ihn hoch.
    Grao’sil’aana wollte schon folgen, als sein Blick auf Daa’tan fiel. Der junge Mann war ein paar Schritte zur Seite getreten, spielte unschlüssig mit dem Schwert. Wind zauste sein langes Haar.
    »Was ist los?«, fragte der Daa’mure.
    Daa’tan antwortete nicht gleich. Er hielt den Blick gesenkt, fast so, als könne er Grao’sil’aana nicht in die Augen sehen.
    Man merkte ihm an, dass er um eine Entscheidung rang, die mehr war als eine Laune. Als er den Kopf hob, schimmerten seine Augen feucht.
    »Ich komme nicht mit«, sagte er.
    Grao’sil’aana machte einen Schritt auf ihn zu.
    »Nein!« Abwehrend hob der Neunzehnjährige die Hand. Er zögerte einen Moment. »Mir ist etwas klar geworden.«
    Bitterkeit schwang in Daa’tans immer noch gewöhnungsbedürftiger dunkler Stimme mit, als er fortfuhr:
    »Diese… Wachstumsphasen. Ich existiere seit vier Jahren und bin schon ein Mann. Noch mal vier Jahre, dann fange ich an zu altern.«
    »Ach, weißt du… das…«, Grao’sil’aana geriet ins Stocken.
    Daa’tan winkte ab. »Vergiss es, Grao! Du hast mir erzählt, wie ich entstanden bin. Durch einen Zufall, ohne Zweck und Ziel.«
    »Schon, aber jetzt kennen wir dein Potenzial, und wir haben ein Ziel! Für dich, Daa’tan!«
    »Ihr habt mich um mein Leben betrogen!«, sagte der junge Mann verächtlich. »Ich werde tot sein, bevor meine Mutter die ersten Falten bekommt.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, sag dem Sol, dass ich ihn nicht sehen will! Ich muss nachdenken, und dazu brauche ich Ruhe.«
    Grao’sil’aana trat heran und legte seinem Schützling die Hand auf die Schulter. Es gab kein Dementi, er fand keine Erklärung. Daa’tan hatte Recht. Leise sagte er: »Dann trennen sich also unsere Wege hier.«
    »Für den Moment.«
    Grao’sil’aana nickte. »Ich komme zurück, so schnell ich kann. Ich werde dem Sol deine Erkenntnisse vortragen und ihn bitten, nach einer Lösung zu forschen. Er findet eine, ganz sicher. Versprich mir nur, dass du dich nicht in Gefahr begibst!«
    »Keine Sorge, Grao. Ich bin ein großer Junge und kann auf mich aufpassen.«
    »Das erzählst du mir, seit ich dich kenne, und genauso lange schon muss ich deine Fehler korrigieren!« Grao’sil’aana redete unentwegt weiter, als er auf Thgáans wartende Tentakel zuging. »Aber denk an die zweite Aura, Daa’tan! Leg dich nicht mit den Anangu an! Und komm nicht auf die Idee, nach Aruula zu suchen! Halte dich vom Uluru fern! Halte dich am Besten von allem fern! Das Tal ist jetzt sicher. Bleib einfach hier und warte auf mich!«
    »Ja… Mutter!«, sagte Daa’tan frech.
    Sein Grinsen gefror, als der Todesrochen mit Daagson und dem Daa’muren abhob. Thgáans majestätische Silhouette war noch eine Weile im schwindenden Licht zu sehen, während Grao’sil’aanas Stimme leiser und leiser wurde. Sie verhallte schließlich ganz. Zurück blieb nur der wispernde Wind des Wellowins…
    ***
    Heute, am Uluru
    Frei. Dieses Wort hatte eine ganz neue Bedeutung für Daa’tan, seit Grao’sil’aana fort war. Der Daa’mure war nicht nur ein bisschen fort, er befand sich inzwischen auf einem anderen Kontinent! Daa’tan konnte also ganz entspannt seinen eigenen Interessen
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