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186 - Wächter der Stille

186 - Wächter der Stille

Titel: 186 - Wächter der Stille
Autoren: Stephanie Seidel
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zerbarst.
    Die Gefährten hatten inzwischen schon einige Stockwerke zurückgelegt, senkrecht hoch durch einen geräumigen Mittelschacht, von dem schraubenförmig Flure zu den Wohneinheiten abgingen. Dennoch spürten sie die Erschütterung, sahen hier und da dekorative Gegenstände umfallen. Wieder holte der Plesiosaurus aus.
    Sein elend langer Hals übertrug eine solche Schwungkraft auf den Schädel, dass er einer Abrissbirne gleich an die Mauern schlug. Sie hatten ihm nichts entgegenzusetzen. Es krachte und dröhnte, Risse bildeten sich im Muschelkalkputz, und da war ein unheilvolles Knirschen überall.
    Vogler und Clarice schwammen um ihr Leben, stießen Quart’ol wieder und wieder an, damit er nicht zurückfiel. Die Turmspitze kam näher. Der gigantische Saurier draußen hämmerte sich weiter mit brachialer Gewalt ins Gebäude hinein. Er folgte der Witterung der drei Gefährten, war aber zum Glück nur stark und nicht klug. Das hielt ihn davon ab, einfach an der Außenwand hoch zu tauchen. Längst hatte er den Eingang so zertrümmert, dass er seinen Kopf hindurch stecken konnte, und Clarice schrie gellend auf, als sie ihn unter sich den Schacht herauf kommen sah an diesem Hals, der kein Ende nehmen wollte. Er hatte aber eins, und diese Erkenntnis – die sich schmerzhaft für den Saurier gestaltete, weil seine Schulterpartie mit scharfem Ruck an die Trümmer des Eingangs stieß – löste eine Katastrophe aus.
    Die Bestie begann zu toben. Ihr Kopf stand senkrecht hoch, der Körper befand sich draußen, und auf dem Hals lastete das Gewicht des größten Turmes von Gilam’esh’gad. Statt sich zurückzuziehen, schlug der Plesiosaurus mit dem Schädel gegen die Schachtwände, biss in Mauervorsprünge, fetzte ganze Wohnungsfronten weg. Was zerbrach, fiel nach unten und schüttete ihn mehr und mehr zu. Irgendwann hörte er auf, den Kopf zu bewegen – und nutzte stattdessen die Schultern.
    Das Monster stützte sich mit seinen riesigen Knochenflossen an der Wand ab, holte aus und rammte den Turm.
    Ein Mal, zwei Mal. Immer wieder. Es waren keine Steine, die davon flogen, es waren Wände.
    Die Marsianer erreichten das Dach, fanden einen Ausgang.
    Der Turm schwankte bereits, als sie Quart’ol mit vereinten Kräften nach draußen zogen. Kaum hatten sie mit dem Auftauchen begonnen, waren nur ein kleines Stück entfernt, da senkte sich das Gebäude unter ihnen wie ein waidwundes Tier zur Seite – und stürzte um.
    Die Folgen waren schrecklich. Der Turm stand mitten in der Stadt; er zerbrach beim Fallen, riss gleich mehrere Hochhäuser ein und zertrümmerte ganze Straßenzüge voll kleinerer Bauten.
    Innerhalb von Sekunden verhüllte eine riesige weiße Wolke aus Muschelstaub das Stadtzentrum, die sich unablässig weiter ausbreitete.
    Über ihr schwammen die drei Gefährten zum Felsendach hoch, wo Tausende von Rettungsbooten angedockt waren.
    Vogler wuchs in diesen Momenten über sich selbst hinaus. Er half Clarice und Quart’ol an Bord, setzte sich an eine Steuerung, die nicht mehr als entfernte Ähnlichkeit mit der einer Transportqualle hatte, und brachte das Boot zum Fahren.
    Nur – wohin sollte er es steuern? Zurück zu dem Tunnel, in dem der verendete Monsteraal steckte… und wo sich jetzt eine Herde Saurier herumtrieb? Selbst wenn sie denen entkamen – im Bestiarium dahinter warteten noch viel mehr auf Beute. Und es war nicht einmal sicher, ob sie das Tor, durch das sie gekommen waren, wieder passieren konnten.
    Also steuerte Vogler in die entgegen gesetzte Richtung, in der vagen Hoffnung, dort vielleicht einen Ausgang zu finden; einen Fluchtweg, der nach draußen führte.
    Quart’ol fand allmählich wieder zu sich, wollte wissen, was geschehen war. Clarice sprach mit ihm, behielt dabei aber die Stadt im Blick. Die Marsianerin sog jedes Mal scharf die Luft ein, wenn sie einen Saurier entdeckte – egal, wie weit entfernt er war. Das zerrte gewaltig an Voglers Nerven. Er brachte es nicht fertig, das Rettungsboot in freies Wasser abzusenken, und so schrottete er auf seinem Weg ein ganzes Bataillon der bionetischen Fahrzeuge.
    Plötzlich schrien sie beide auf, Clarice und Quart’ol. Als Vogler sich nach ihnen umdrehte und den Grund dafür sah, wurde er kalkweiß. Ein riesiges, grauenhaftes Maul voller Zähne flog von unten auf das Rettungsboot zu.
    Plesiosaurus Rex hatte seine Beute aufgespürt.
    »Weg da! Lass mich ans Steuer!«, befahl Quart’ol – den Göttern sei Dank! – wieder mit gewohnt fester Stimme.
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