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185 - Ein Albtraum erwacht

185 - Ein Albtraum erwacht

Titel: 185 - Ein Albtraum erwacht
Autoren: Michael M. Thurner
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ihre Waffe weg und steckte sie in einer fließenden Bewegung in eine Halterung auf ihrem Rücken. Doch Aluur fühlte, dass die Bedrohung nach wie vor bestand. Diese Frau wirkte, als könnte sie ihn mit bloßen Händen in der Luft zerreißen.
    »Hast du etwas zum Essen?«
    »In meinem Ranzen.« Aluur deutete hinter sich. Langsam, um die Frau nur ja nicht unnötig zu reizen, holte er gepökeltes Fleisch hervor und reichte es ihr. Auch den halbvollen Wassersack gab er weiter.
    Alle möglichen Verhaltensmaßnahmen, die er während der letzten Jahre aufgeschnappt und gelernt hatte, ergaben plötzlich keinen Sinn mehr. Gemäß den Bordregeln hätte er durch lautes Schreien die Wächter alarmieren – und damit sein eigenes Leben verwirken sollen. Aber mit diesem zerlumpten und dennoch wunderschönen Geschöpf vor Augen schaffte er es einfach nicht, nach den Gesetzen zu handeln.
    »Wer bist du?«, fragte Aluur, als die Frau leise schmatzend über seine Essensration herfiel. »Und wie hast du es geschafft, auf den Roodtren zu klettern, ohne von den Wächtern bemerkt zu werden?«
    »Ich heiße Aruula«, murmelte sie zwischen zwei Bissen, »und eure Wächter sollten diesen Titel gefälligst an Bessere abgeben. Ich konnte sie riechen, sehen und hören. Wenn ich gewollt hätte, wären sie bereits tot. Alle acht.«
    Bewundernswert. Die Frau hatte richtig gezählt. Selbst die beiden hinter einem Metallverschlag verborgenen Wachposten waren ihren scharfen Augen nicht entgangen.
    »Womit können wir dir helfen, Aruula?«, fragte er. Er gab sich so gut wie möglich den Anschein des Erwachsenseins und faltete die Hände vor der Brust, während er sich aufrecht hinsetzte.
    »Deine Augen sind trotz deiner Jugend die eines Mannes«, sagte Aruula, ohne auf seine Fragen einzugehen. »Glotz mir gefälligst nicht so aufdringlich in den Ausschnitt. Sonst lernst du mich besser kennen, als dir lieb ist.«
    Aluur murmelte eine matte Entschuldigung. Er konzentrierte sich auf Obst- und Gemüsesorten, während er die Röte in seinen Kopf steigen fühlte. Tofanen fielen ihm ein, riesige runde und pralle Tofanen, zwei an der Zahl, die er nacheinander auf Festigkeit prüfen konnte…
    »Also?« Die Waffenhand der Frau ruhte wie zufällig auf dem Messer, das sie im Bund stecken hatte.
    »Es… es tut mir Leid«, brachte Aluur schließlich stotternd hervor. Beschämt blickte er an ihr vorbei.
    »Schon besser, Junge.« Sie bezeichnete ihn als Junge! Ihn, der er im Herbst bereits den sechzehnten Geburtstag gefeiert hatte!
    »Ich benötige eine Passage ins Landesinnere« , sagte Aruula plötzlich. »Ich bin gerne bereit, dafür zu arbeiten. Ich bin mir sicher, dass ich euren müden Kriegern noch einiges beibringen könnte.«
    »Davon bin ich überzeugt«, sagte Aluur. Er schlug die Beine übereinander, um die Irritation an seiner Leibesmitte bestmöglich abzudecken. »Ich glaube aber kaum, dass der Rabbadaag bereit ist, einer Wildfremden zu vertrauen.«
    »Rabbadaag?«
    »Der Anführer des Roodtrens – und leider auch mein Vater.«
    Misstrauisch blickte sie ihn an. Das Licht der kleinen Paraffin-Lampen, die den Wagen beleuchteten, flackerte über ihr hübsches Gesicht.
    »Der Sohn des Häuptlings schläft abseits von allen Bequemlichkeiten? Das glaube ich dir nicht, mein Junge.«
    »Wir haben ein etwas… schwieriges Verhältnis«, wich Aluur näheren Erklärungen aus.
    Er fühlte, dass die Gefahr endgültig überstanden war. Die Frau wirkte nun ruhig und entspannt.
    »Bring mich zu ihm!«, forderte sie abrupt. »Es soll dein Schaden nicht sein.«
    »Das geht jetzt nicht. Er schläft bereits, und er duldet keine Störung. Es wird schwer genug, ihm beizubringen, wie du an Bord des Roodtrens gelangt bist. Ich befürchte, dass die Peitschenbrüder ausgiebig zu tun bekommen, um die Wachtposten zu bestrafen.«
    Insgeheim grinste Aluur. Die Wächter rekrutierten sich großteils aus tumbem und überheblichem Gesindel, das der Rabbadaag entlang ihres Weges aufgelesen hatte. Es würde ihnen nicht schaden, eindringlich auf Fehler während der Arbeitszeit aufmerksam gemacht zu werden.
    »Morgen, sobald die Sonne aufgeht, bringst du mich zu deinem Vater!«, befahl Aruula. Seltsame Stärke und Selbstbewusstsein lagen in ihrer Stimme. Als wüsste sie, dass er keinerlei Widerspruch wagen würde.
    Die Frau zog einen Teil der Stofffetzen an sich, krümmte sich zusammen und seufzte erleichtert.
    »Hast du denn keine Angst, dass ich dich verrate, während du hier ruhst?«,
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