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184 - Die Herren von Sydney

184 - Die Herren von Sydney

Titel: 184 - Die Herren von Sydney
Autoren: Ronald M. Hahn und Stephanie Seidel
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Enderby Roney schon deswegen nicht leiden, weil dieser zu jenen gehörte, denen jedes billige Vergnügen lieber war als das aufgeblasene Getue von Halbgescheiten, die nicht mal über sich selbst lachen konnten.
    »Ja?«
    Der Blick, mit dem Enderby Roney musterte, sprach Bände: Er sah so aus, als sei er sein Vorgesetzter – nicht umgekehrt.
    »Walten Sie Ihres Amtes, Sergeant.« Enderby machte eine Handbewegung. Ein zweiter Uniformierter, den Roney übersehen hatte, trat aus dem Halbdunkel des Korridors in den Türrahmen und knallte die Hacken zusammen.
    »Lieutenant Roney hat sich bei Captain Archer zu melden, bevor die Glocke acht geschlagen hat.« Der Sergeant hielt Roney mit verlegener Miene ein Schreiben mit dem Signum des Oberkommandos unter die Nase.
    Roney zog die Nase hoch. Er tat so, als läse er den Schrieb, doch in Wahrheit sagten ihm die Buchstaben nichts. Trotz seiner mörderischen Kopfschmerzen wurde ihm bewusst, dass es um seinen Hals ging. Um dies zu wissen, brauchte er nur die schadendrohe Visage Enderbys zu sehen, der sich offensichtlich freute, dass es ihm nun an den Kragen ging.
    »Die siebente Stunde wurde synchron mit dem ersten Klopfen an die Tür Ihres Quartiers geschlagen«, sagte der Sergeant, um Roney diskret zu signalisieren, wie viel Zeit ihm noch blieb.
    »Ja.« Enderby grinste tückisch. »Ich an Ihrer Stelle würde mich sputen.« Er salutierte aufgesetzt freundlich, machte kehrt und marschierte los. Der Sergeant zuckte die Achseln und folgte ihm.
    Roney warf die Tür ins Schloss, wankte zu seiner Liege, nahm seinen Kopf in beide Hände und verwünschte das letzte Jahrzehnt seiner Existenz.
    Dann versagte sein Kreislauf. Seine Knie fingen an zu schlottern. Sein Herz raste. Kalter Schweiß brach ihm aus. Ihm wurde wieder schlecht. Doch diesmal gelang es ihm, die Schüssel zu erreichen. Klares Wasser strömte aus seinen Poren. Der Entzug war diesmal so heftig, dass er sich den Tod wünschte.
    Warum war diese beschissene Welt so gnadenlos? Was hatte er Archer eigentlich an den Kopf geworfen? Und vor allem: Wer war dabei gewesen? Wer hatte alles gehört?
    Hatte er noch eine Zukunft?
    Roney verdrängte seine Angst. Er brauchte viel Wasser, um sauber zu werden und einen klaren Kopf zu kriegen. Dann schlüpfte er in eine frische Uniform und Stiefel, gürtete sich, schnallte seine Waffe um und schaute sich kurz im Spiegel an. Es war hoffnungslos: Er war blass wie eine Leiche. Seine Augäpfel waren von roten Fädchen durchzogen. Er zitterte. So sah ein Säufer aus, der nicht hatte ausschlafen können…
    Oh, Scheiße. Roney ging hinaus. Der endlose Gang roch nach Kohl. Seine Einheit hatte Dienst, deswegen begegnete er niemandem. Das einzige Geräusch, das er in dem Treppenhaus hörte, das ihn nach oben brachte, war das Echo seiner Schritte.
    Die Etage des Oberkommandos war Roney noch nie so still und kalt erschienen wie heute. An der Glastür, die zu den Stabsbüros führte, musste er sich bei einem schmallippigen weiblichen Adjutanten melden, der ihn von oben herab musterte.
    Als Roney seinen Namen nannte, wurde aus dem hochnäsigen Blick ein abwertender. Als die rothaarige Dame aufstand, um ihn hinter die Glastür zu bringen, musterte er ihre jugendlich glatte Stirn und hatte kurz die Halluzination, dass dort etwas geschrieben stand: Du bist tot, Mann; du weißt es nur noch nicht.
    Vor dem Büro des Captains ließ sie ihn stehen und ging an ihren Posten zurück. Roney maß die dunkelrot verkleidete Tür mit einem Blick, dann richtete er noch mal seine Kleider, räusperte sich und klopfte an.
    Das »Herein!«, das er hörte, kam ihm noch schriller vor als Enderbys Stimme. Der Gedanke an das, was ihn erwartete, beschäftigte Roney, als er die Tür öffnete, so sehr, dass er gegen die metallene Abschlussleiste trat und wie eine besoffene Taratze über die Schwelle wankte.
    Zwar konnte er verhindern, dass er auf die Nase fiel und sich vollends zum Clown machte, doch nun strotzte sein Auftritt nicht mehr vor vorgetäuschter Selbstsicherheit.
    Der Uniformierte, der hinter einem geöffneten Handkoffer an einem großen Schreibtisch saß, war ein wichtiger Mann in der Hierarchie des Hohen Hauses.
    Ihm unterstand die Sicherheit.
    Archer war etwa vierzig Jahre alt und hatte eine Adlernase. Er war gut gebaut, glatzköpfig und besaß intelligente Augen. Er nahm sich wichtig. Niemand hatte ihn je öffentlich lachen sehen. Er neigte dazu, Menschen, die ihm unterstellt waren, öffentlich abzukanzeln. Eine
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