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184 - Das Kreuz der blinden Göttin

184 - Das Kreuz der blinden Göttin

Titel: 184 - Das Kreuz der blinden Göttin
Autoren: A.F.Morland
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sie schmeißen alles kaputt. Aber sie springen nicht am zweiten Urlaubstag vom Balkon.«
    Ich musterte den Spanier. »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Irgend etwas stimmt an dieser Geschichte nicht.«
    »Meinen Sie, Glynis Elcar hat mich belogen?«
    »Das kann ich nicht beurteilen. Welchen Eindruck machte die Frau auf Sie?«
    »Einen sehr gebrochenen«, antwortete ich. »Sie war mit Martin Elcar immerhin zwölf Jahre verheiratet.«
    Ich sah das Ehepaar Cassavetes an der gläsernen Bartür Vorbeigehen. Der Schock, den sie erlitten hatten, war ihnen immer noch anzusehen.
    Viele wären an ihrer Stelle abgereist. Sie blieben. Vielleicht wegen Glynis Elcar, oder weil sie den Standpunkt vertraten: Was wir bezahlt haben, konsumieren wir auch. Egal, was passiert ist.
    Fuegas erwähnte ein Erdbeben, das es kurz vor unserer Ankunft gegeben hatte. Er behauptete, schon viele kleine Beben erlebt zu haben, doch dieses sei irgendwie anders gewesen.
    »Wie - anders?« fragte ich.
    »Ich kann es nicht erklären. Es schien einen anderen Ursprung zu haben. Teneriffa ist eine Vulkaninsel.«
    »Der Teide ist nicht zu übersehen«, sagte ich.
    »Er entstand erst später. Der Pico de Teide wuchs aus dem gewaltigen Krater Las Canadas empor. Der geologische Begriff ›Canadas‹ bedeutet allgemein ›Flächen am Fuße eines Felsgürtels, auf denen sich Schutt und Geröll abgelagert hat‹. Bei uns versteht man darunter die Ruinen des Urvulkans im Zentrum der Insel. Mit einem Durchmesser von 15 Kilometern und einem Umfang von 75 Kilometern war er einer der größten Vulkane der Erde. Aus der Magmakammer tief im Erdinnern baute sich lange nach dem Zusammensturz des Urvulkans der Teide, das Wahrzeichen Teneriffas, auf. Es brodelt und kocht unter uns, Mr. Ballard. Vielleicht bricht der Teide eines Tages wieder aus - wer weiß. Mit diesen kleinen Beben gibt er uns zu verstehen, daß er noch ›lebt‹. Wir haben uns daran gewöhnt, kennen ihren Verlauf, geraten deswegen nicht gleich in Panik. Das letzte Beben jedoch war anders, wie ich schon sagte. Ich muß gestehen, es versetzte mich in freudige Erregung.«
    Ich staunte. »Ein Erdbeben ?«
    Fuegas nickte mit funkelnden Augen. »Ist es endlich soweit? fragte ich mich. Kommt sie nun?«
    »Wer soll kommen? Von wem sprechen Sie?«
    »Von der blinden Guanchengöttin Numa. Sie lebte vor langer Zeit auf dieser Insel. Sie machte die Menschen sehr glücklich. Jeder, der Hilfe brauchte, durfte sich an sie wenden. Sie heilte Kranke und nahm den Alten die Angst vor dem Tod.«
    Ich wußte nicht sehr viel über die Guanchen, nur, daß sie in erster Linie ein Hirtenvolk gewesen waren.
    Von Paco Fuegas erfuhr ich nun, daß die Ureinwohner der Insel in Höhlen oder steinernen Rundbauten gewohnt hatten. Da sich auf vulkanischen Inseln keine Metalle finden und ein Handel mit dem afrikanischen Festland nicht bestand, mußten die Guanchen alles, was sie für das tägliche Leben brauchten, aus Stein, Holz, Knochen, Ton, Fellen und Stroh herstellen.
    Sie beteten Sonne, Mond und geschlechtslose Gottheiten an und brachten Numa, die überaus beliebt war, unblutige Opfer in reicher Zahl.
    Numas Leben endete unter glühender Lava, Schutt und Asche, doch es gab Weissagungen, die hartnäckig behaupteten, daß die Göttin unter dem Geröll von Las Canadas lebte.
    Es hieß, sie würde Kräfte sammeln und eines Tages stärker als einst zurückkehren.
    »Noch vor der Jahrtausend wende«, sagte Paco.
    Wir waren dazu übergegangen, uns mit den Vornamen anzureden.
    »Deshalb dachten Sie, das Beben hätte ihre Rückkehr angekündigt«, meinte ich.
    Paco nickte eifrig. »Sie wird große Wunder vollbringen, Tony. Lahme werden gehen können, Blinde werden sehen, Kranke, denen kein Arzt mehr helfen kann und die zu ihr kommen, werden gesund nach Hause fahren.«
    »Das hört sich großartig an, Paco, aber - verzeihen Sie mir - ich kann es nicht glauben. Würde sich Numa, wenn sie tatsächlich über so große heilsame Kräfte verfügt, nicht zuerst selbst helfen?«
    »Sie braucht keine Hilfe.«
    »Sie ist blind.«
    »Das war sie zeit ihres Lebens. Sie will nicht sehen. Sie braucht nicht zu sehen. Sie ›sieht‹ auf ihre Weise. Sie ist eine Göttin!«
    »Sie wird also auferstehen.«
    »In einem großen goldenen Kreuz«, sagte Paco.
    »In einem Kreuz? Sie muß vor dem 15. Jahrhundert gelebt haben…«
    »Lange davor.«
    »Die Christianisierung der Insel begann erst in diesem Jahrhundert«, sagte ich.
    »Götter können vorausschauen«,
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