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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories
Autoren: Manfred Kluge
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Un­re­gel­mä­ßig­keit be­deu­te­te. Es war je­ne Be­we­gung, die nicht hät­te sein sol­len – die Be­we­gung, mit der Be­we­gung auf­hört. Bin­nen we­ni­ger Mo­men­te war er an Deck, doch schon vor­her er­riet er die ein­ge­tre­te­ne La­ge.
    Sie hat­ten die Tan­gier Shoal er­reicht, die aus­ge­dehn­ten Un­tie­fen rings um die In­sel Tan­gier. Je­der Schif­fer der Ches­a­pea­ke-Bucht wuß­te über sie Be­scheid – wuß­te, daß ihr Um­fang im­mer so gut wie gleich blieb, aber ih­re Tie­fen sich stän­dig än­der­ten. Wäh­rend der einen Jah­res­zeit konn­te zwi­schen zwei Punk­ten ei­ne schiff­ba­re Fahr­rin­ne sein, in der nächs­ten wa­ren dort Sand­bän­ke. Die Ver­nunft, so dach­te der Co­lo­nel, soll­te je­der­mann fern­hal­ten, auf je­den Fall je­man­den mit ei­nem Boot von der Art des Scho­ners. Aber die­sen Ka­pi­tän hat­te die Ver­nunft nicht auf­ge­hal­ten. Der Scho­ner war auf­ge­lau­fen.
    Sei­ne ers­te hef­ti­ge Re­gung gab ihm ein, den Idio­ten zu er­schie­ßen. Der Ge­dan­ke ver­flüch­tig­te sich, ehe er sich rich­tig ver­fes­tigt hat­te. Der Co­lo­nel wid­me­te sei­nen Ver­stand den Ver­hält­nis­sen. Se­hen konn­te er nichts, denn in­zwi­schen war es dun­kel, aber er ver­moch­te sich aus­zu­ma­len, was sich zu­ge­tra­gen hat­te. Der Wind hat­te um­ge­schla­gen und weh­te nun statt aus Süd­wes­ten aus dem Os­ten. Beim Be­mü­hen, sich in die­sen Ge­gen­wind zu stem­men, hat­te der Ka­pi­tän zu weit ost­wärts ge­halst und das Schiff auf ei­ne Sand­bank ge­setzt. Die­ses Un­glück hät­te ihm nicht wi­der­fah­ren dür­fen – und doch konn­te es je­dem zu­sto­ßen. Es war ein so ge­wöhn­li­cher Schif­fahrts­zwi­schen­fall, daß er glei­cher­ma­ßen ver­zeih­lich war wie un­ver­zeih­lich. Aber nichts der­glei­chen spiel­te jetzt ei­ne Rol­le. Ent­schei­dend war nun, daß die Flut zu­rück­ging. Sie konn­ten das Schiff nicht frei­ma­chen, die Fahrt nicht fort­set­zen, be­vor die Flut wie­der­kehr­te. Acht Stun­den.
    Co­lo­nel Tilgh­man hat­te wäh­rend des ge­sam­ten Ver­laufs der Re­vo­lu­ti­on auf ih­rer Sei­te ge­kämpft. Das be­deu­te­te, er hat­te zu war­ten ge­lernt; denn die we­sent­lichs­te Kunst je­nes Krie­ges war das War­ten ge­we­sen. Nicht in dem Sinn, daß die Re­vo­lu­ti­on et­was für aus­schließ­lich ge­dul­di­ge Men­schen ge­we­sen wä­re. Ge­wiß – Ge­duld hat­te sie ge­lehrt. Aber Un­ge­duld hat­te sie her­vor­ge­bracht. In ih­ren Kämp­fern war ei­ne be­son­de­re Art von Aus­dau­er ent­stan­den. Ein Ei­fer, der nicht er­mat­te­te, wäh­rend das Un­ent­schie­den sich hin­zog. Ei­ne Fä­hig­keit zu stil­ler, be­harr­li­cher, zä­her Acht­sam­keit. Tilgh­man war dar­in ein Meis­ter. Doch er hat­te die­se Meis­ter­schaft für den Sie­ges­ritt ab­ge­streift. Die Ge­wohn­hei­ten des Krie­ges wa­ren vor­bei – die Not­wen­dig­keit, sich in Ver­zö­ge­run­gen zu schi­cken, be­stand nicht län­ger! Konn­te es für einen Mann, der ei­ne sol­che Nach­richt be­för­der­te wie er, Ver­zö­ge­run­gen ge­ben? Das konn­te es. Wind, Sand­bän­ke und Ge­zei­ten be­sa­ßen vor der Ge­schich­te kei­ne Ver­ant­wor­tung. Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten hat­ten für einen be­grenz­ten Zeit­raum von acht Jah­ren ge­war­tet. Nun muß­ten sie wei­te­re un­end­lich lan­ge acht Stun­den ab­war­ten.
    Tilgh­man un­ter­hielt sich mit Höf­lich­keit mit dem Ka­pi­tän. Der Mann hat­te et­was Un­ver­zeih­li­ches ge­tan, das nun ver­zie­hen wer­den muß­te. Da er ihn nicht er­schie­ßen konn­te, moch­ten sie ge­nau­so­gut die An­nehm­lich­kei­ten tei­len. Schließ­lich ge­sell­te der Co­lo­nel sich in der Ka­bi­ne zum Ka­pi­tän und sei­nem Bran­dy.
    Die An­nehm­lich­kei­ten je­doch blie­ben im Rah­men der mensch­li­chen Mög­lich­kei­ten. Das Wet­ter mach­te sie zu ei­nem Nichts. Der Wind blies stär­ker. Er durch­weh­te die pech­schwar­ze Luft mit bit­ter­kal­tem flie­gen­den Was­ser. Auf dem Scho­ner war nichts warm, und nichts, das den Ele­men­ten aus­ge­setzt war, blieb tro­cken. Co­lo­nel Tilgh­mans Re­ak­ti­on dar­auf stand au­ßer­halb der Leh­ren ei­ner je­den
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