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1684 - So grausam ist die Angst

1684 - So grausam ist die Angst

Titel: 1684 - So grausam ist die Angst
Autoren: Jason Dark
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Trennungen aufgehoben werden. Das ist in diesem Fall so geschehen. Ich bin der Mittler zwischen dem Diesseits und der Anderswelt, in der die Geister ihren Platz gefunden haben. Nur wenigen Menschen ist es vergönnt, und auch ich habe lange Zeit gebraucht. Und nur wenige Außenstehende dürfen es je erfahren. Du gehörst dazu. Du wirst durch mich geweiht werden. Anderen Menschen bleibt es versagt, und auch ich muss mich vorsehen, denn die Anderswelt nimmt nicht jeden an. Mache ich etwas falsch, wird mich die Welt bestrafen. Aber nicht hier. Sie hat dich akzeptiert, und es gibt jemanden, der auf dich wartet. Ich habe meinen Geist lösen können. Ich war auf dem Weg zu ihr, und er hat sie gefunden, um dir zu beweisen …«
    »Nein«, keuchte Rosy, »das will ich nicht hören! Es reicht mir. Keinen Schritt mehr weiter. Ich habe die Grenze erreicht, und die will ich nicht überschreiten.«
    »Du kannst nicht anders.«
    Es war ein Satz, der die Angst erneut in Rosy hochsteigen ließ. Sie wedelte mit beiden Händen. Ihr Entschluss stand fest.
    Sie wollte weg!
    Der Gedanke war stark, aber sie schaffte es nicht, ihn in die Tat umzusetzen. Sie hatte den Eindruck, mit beiden Beinen auf dem Boden festgeklebt zu sein, und als sie das widerliche Lächeln des Schamanen sah, da war ihr klar, dass sie sich in seiner Gewalt befand. Er hatte es geschafft.
    »Du wirst sie erleben. Du wirst sie umarmen können. Tamara wartet auf dich. Du kannst noch mal Abschied nehmen und …«
    Seine Stimme versagte. Dafür stöhnte er auf und zuckte, als hätte er einen Schlag erhalten. Aber er fiel nicht. Er machte den Eindruck eines Menschen, der sich nicht mehr in dieser Welt befand.
    Rosy musste ihn einfach ansehen. Es war wie ein Zwang, und sie glaubte, dass sich in seiner unmittelbaren Nähe etwas bewegte.
    Es war nichts Konkretes. Es war mehr ein sich leichtes Bewegen der Luft.
    Und dann sah sie es.
    »Nein«, flüsterte sie, aber es war nicht mehr wegzudiskutieren. Der Geist war da. Wie ein Schemen, wie ein dichter Nebelstreif mit einem lang gezogenen Umriss, und sie spürte auch die Kälte, die ihr über das Grab hinweg entgegenwehte.
    Es gab keinen Zweifel. Sie hatte Besuch aus dem Jenseits erhalten, und plötzlich war sie nahe daran, ihre Fassung vollends zu verlieren, denn da war eine weiche Stimme, deren Worte wie ein Hauch waren und ihr entgegen schwangen.
    »Da bist du ja, Rosy …«
    Es gab keinen Zweifel. Zu ihr hatte tatsächlich die tote Tamara gesprochen …
    ***
    Rosy Mason hatte Mühe, sich auf den Füßen zu halten. Der Boden vor ihr schwankte und schien eine Welle nach der anderen zu werfen. Es gab nichts, woran sie sich hätte festhalten können. Ihre Augen weiteten sich, über ihre Lippen drangen unverständliche Worte, und sie wäre am liebsten in den Himmel gestiegen und weggeflogen.
    Man ließ ihr Zeit. Nach einer Weile sah sie wieder klarer.
    Das Bild hatte sich nicht verändert.
    Rosy hatte den ersten Schrecken hinter sich. Sie schluckte, sie konnte wieder einen klaren Gedanken fassen, und sie sah die beiden Gestalten an der gegenüberliegenden Seite des Grabes stehen.
    Der Mensch und der Geist.
    Aber nur der Geist hatte zu ihr gesprochen. Das wusste sie, obwohl sie es nicht begriff. Die Stimme schien vom Wind herbeigetragen worden zu sein. Sie war von irgendwoher gekommen und jetzt verweht.
    »Erkennst du mich nicht mehr?«
    Erneut schrak Rosy zusammen. Das war nicht mehr ihre Freundin. Tamara war für sie tot. Was ihr da gegenüberstand, war irgendein Schemen, etwas, das aus der Ferne und einer Welt zu ihr gekommen war und sie nun für sich einnehmen wollte.
    »Du bist nicht mehr Tamara.«
    »Doch!«, wisperte es. »Ich bin Tamara. Ich bin nur auf einem anderen Weg. Ich habe die Grenze überwunden und melde mich aus einer anderen Welt. Ich kann dir sagen, dass es dort, wo ich bin, so friedlich ist. Es lohnt sich, zu mir zu kommen. Zwar geht es mir gut, aber ich muss dir sagen, dass ich mich trotz allem sehr allein fühle. Das möchte ich ändern. Ich bin Darco Uvalde so dankbar, dass er den Mittler zwischen uns gespielt hat. Er hat uns wieder vereint, und das soll auch so bleiben.«
    Rosy hatte alles verstanden, aber sie wollte auf keinen Fall mit ihrer Freundin gehen. Das war ein Weg, den Tamara allein gehen musste, und das sagte sie ihr auch.
    »Du wirst bleiben, wo du bist. Du gehörst dorthin, und ich gehöre hierher, wo ich jetzt bin. Deine Welt ist nicht meine. Ich lebe, ich bin nicht tot, ganz im Gegenteil
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