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167 - Tor in die Vergangenheit

167 - Tor in die Vergangenheit

Titel: 167 - Tor in die Vergangenheit
Autoren: Jo Zybell
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der Verteilerröhre, wo sich, wie immer, Hunderte heimlicher Zeugen versammelt hatten.
    Nach dem Gesang für die Schöpfer schwamm der Hochrat heran und legte seine Hände auf Gilam'eshs Schultern. Die Zweite Phase des Rituals begann.
    »Du kennst die sechs Stufen der Prüfung, Gilam'esh?«, fragte Ardi'bud.
    »Das Schweigen, die Jagd, die Bluttaufe, die Einsamkeit, die Schrecken des Trockenrotgrundes und die Rückkehr«, antwortete Gilam'esh.
    »Weißt du, dass schon ab der zweiten Stufe der Tod dir auflauert?«
    »So wahr die Schöpfer mein Leben wollten: ich weiß es.«
    »Bist du bereit, dennoch jede einzelne Stufe auf dich zu nehmen, gleichgültig, wie viele Lichtenden und Lichtanfänge bis zur letzten verstreichen werden?«
    »So wahr die Schöpfer Geduld mit mir üben: Ich bin bereit«, antwortete Gilam'esh.
    »So sei es!« Der Hochrat nahm seine Hände von Gilam'eshs Schultern und drehte sich zu der Versammlung vor dem Nordtor um. »Ihr habt es gehört, Räte, Lehrer, Ratsministranten und Sippenälteste – der Kandidat Gilam'esh ist soeben aufgebrochen, um die Reife und den Rang eines erwachsenen Ditrydree zu erwerben! Lasst uns also gehen!«
    Die versammelten Hydree bildeten eine Gasse. Flankiert von seinem Erzeuger und seinem Lehrer schwamm der junge Gilam'esh dem Nordtor entgegen. So schrieb es das Ritual vor: Durch das Nordtor hatte ein Kandidat die Ozeanstadt zu verlassen, wenn er aufbrach, durch das Südtor hatte er zu schwimmen, wenn er zurückkehrte.
    Von nun an bis zu seiner Rückkehr – falls er überlebte – hatte Gilam'esh zu schweigen – ein einziger Satz nur stand ihm noch zu. Der Satz, mit dem er seine Jagdbeute bestimmen würde. Auch das schrieb das Ritual vor. Mit keinem Angehörigen aus dem Volk der Ditrydree durfte er bis dahin und danach sprechen, singen, mental Kontakt aufnehmen oder auf Kontakt reagieren.
    Schweigend und mit düsterer Miene blickte Mosh'oyot, der Hochrat von Dibr'dryn, hinter dem jungen Kandidaten her.
    Bevor Gilam'esh ins Halbdunkel des Haupttunnels Nord eintauchte hob er den Blick und las noch einmal die vertraute Inschrift über dem Tor: Willkommen, Reisender, in den warmen Fluten von Tarb'lhasot…
    ***
    »Der Umriss des Schädels, dieser Scheitelkamm…!«
    Sternsang, der Weltenwanderer, hatte sich von der Tür entfernt und war dicht neben den Kristall getreten. Von dort aus betrachtete er das rötlich flirrende Hologramm wie ein Bild in einer Ausstellung. »Kein Zweifel: Es ist eines der Wesen, die ich im Strahl gesehen habe…«
    Unaufdringlich raunte die Stimme in jener uralten Sprache, die nur Matthew Drax verstand. Quart'ols Sprache.
    Matt hatte die Schriftzeichen des alten Marsvolkes gesehen, er war durch eine teilweise ausgegrabene Unterwasserstadt gelaufen, und er hatte die richtigen Schlüsse gezogen. Er wusste also längst, was er hier sah, war darauf vorbereitet.
    Doch eine Sache mit dem Verstand zu erkennen war etwas ganz anderes, als sie zu sehen und zu hören. »Die Hydriten der Erde stammen also wirklich von den Hydree ab«, flüsterte er.
    »Vom Mars zur Erde…« Chandra Tsuyoshi atmete tief und geräuschvoll durch. Sie drückte sich mit dem Rücken an die Wand neben der Tür. Die Arme hatte sie vor der Brust verschränkt und die Schultern hochgezogen, als würde sie frieren. »Es klang immer wie ein Märchen… obwohl wir den Strahl und sein Ziel doch kannten…«
    »Ein Märchen genährt von Ignoranz und einer lächerlichen Angst vor der Erde und ihrem Erbe!« Sternsang stemmte die Fäuste in die Hüften. Von allen dreien schien er die wenigsten Berührungsängste mit dem Ungeheuerlichen zu haben. »Sie sind in dem Strahl zur Erde gereist, das weiß mein Volk längst.« Er schabte sich die Kopfhaut unter seinem weißen Haar. In diesen Augenblicken erschien er Matthew Drax alles andere als ehrwürdig und mysteriös. »Ich möchte nur zu gern wissen, wie und warum.« Er wandte sich an den Erdmann.
    »Was sagt die Stimme jetzt?«
    »Immer dasselbe: ›Willkommen! Ich bin Gilam'esh. Höre meine Geschichte – die Geschichte deines Volkes. Erfahre vom Aufbruch der Hydree‹…«
    »Die Geschichte deines Volkes…?«, murmelte der Uralte nachdenklich. »Das lässt vermuten, dass die Botschaft an einen ihrer Nachfahren gerichtet ist.«
    Matthew Drax trat hinter ihn. Der Mann von der Erde hatte seine Fassung wieder gefunden. »Vorhin sagtest du, dass du den Hydree bereits im Strahl begegnet bist, Weltenwanderer.«
    »Nicht ihnen selbst – ihren
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