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164 - Der vielarmige Tod

164 - Der vielarmige Tod

Titel: 164 - Der vielarmige Tod
Autoren: Ronald M. Hahn
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Abständen ragten allerdings gigantische Steinhaufen aus den lehmigen Fluten des Yamuna. Auf ihren Gipfeln ragten mit garstigen Fratzen verunzierte Totempfähle auf, die wohl dazu dienten, Forscher und Neugierige davon abzuhalten, sich dem zu nähern, was von Agra noch übrig war.
    Vor dem Kometeneinschlag hatten in dieser über tausend Jahre alten Stadt 1,3 Millionen Menschen gelebt und sich ihres Daseins erfreut. Die Neigung der Erdachse hatte jedoch einen Klimawechsel herbeigeführt, der den meisten Bewohnern nicht bekommen war.
    Die Inder waren in Massen an Unterkühlung und Hunger gestorben. Die Fürsten und Prinzen hatten die Bunkertüren hinter sich geschlossen und ihr Personal ausgesperrt.
    Leider hatte sich erwiesen, dass sie ohne ihre Lakaien völlig hilflos waren. Die Expeditionen, die sie nach dieser Erkenntnis ins Freie geschickt hatten, um die Dienerschaft zu suchen, waren in Eis und Schnee krepiert oder zerlegt und verspeist worden.
    Die meisten Bunkerbewohner hatten nicht einmal das erste Katastrophenjahr überlebt: Hunderte hatten sich aufgrund von Depressionen das Leben genommen, andere machte die Verzweiflung so aggressiv, dass sie sich und ihre Angehörigen umgebracht hatten.
    Wie fast überall auf der Erde hatten sich die Überlebenden auch hier von den etablierten Göttern abgewandt: Niemand wollte glauben, dass der einzig wahre Gott ein solches Desaster zuließ!
    Hatte man nicht immer brav gebetet, war dreimal täglich in den Tempel gegangen? Hatte man Vater, Mutter und den Anverwandten nicht immer Respekt erwiesen und auch die Armen nicht vergessen?
    Wie konnte der einzig wahre Gott zulassen, dass die einzig wahren Gläubigen so etwas mitmachen mussten? Dass die verfluchten Ungläubigen eines Tages durch die Hölle gehen mussten, hatte man ja schon immer gewusst – aber wieso sie?
    So hatten sie sich vom ehemals einzig wahren Gott abgewandt. Auch die Kaàliten kannten nur eine Gottheit – die grausamste in diesem Teil der Welt. Und wer nur ihren Namen hörte, wagte es nicht, in deren Territorium vorzudringen, was durch die abschreckenden Totempfähle noch unterstrichen wurde.
    Dies galt aber offenbar nicht für das Boot, das unter dem Ballon die Flussmitte durchfuhr. Kapitän Pofski zückte sein Binocular, um in Erfahrung zu bringen, ob es das Gefährt war, das sie suchten.
    Sein erster Blick fiel auf die tätowierte Glatze des Rudergängers. Außer ihm lungerten sieben oder acht Gestalten an Deck herum. An ihren Gesichtern war jeweils ein halbes Pfund Altmetall befestigt. Taktisch war dies nicht sehr klug, denn das metallene Geschepper verhinderte ein lautloses Anschleichen an ein Opfer.
    Andererseits waren diese Flussratten aber klug genug, um den Schatten zu bemerken, den der Ballon auf sie warf. Die Kerle fuhren herum. Einer deutete nach oben und schrie. Die anderen schauten in die Luft und spritzten auseinander.
    »Was ist los mit denen?« Kapitän Pofski setzte das Binocular ab. Eine Sekunde später sah er einen silbernen Pfeil auf sich zufliegen, den jemand auf dem Boot mit einer Armbrust abgeschossen hatte.
    Tock! Ein leiser Knall.
    Karan Khan murmelte eine Verwünschung und beugte sich über den Rand. Der Bolzen hatte sich in die Korbseite gebohrt.
    »Wir müssen höher rauf!«, rief er aufgeregt. »Wenn die Banditen den Ballon treffen…!«
    Kapitän Pofski reagierte sofort. Während er hier und da an den Seilen zog und die Propeller ankurbelte, fachte Karan Khan, der ihm schon einiges abgeschaut hatte, das Feuer mit einem großen Blasebalg an.
    Langsam stieg der Korb höher. Die Flussratten schrien nun lauthals und schossen zu fünft auf sie. Doch ihre Bolzen erreichten den Korb nicht mehr. Der Lärm, den sie machten, war freilich weithin hörbar. Das Ergebnis war, dass aus einem Nebenarm des Yamuna ein weiteres – größeres – Boot hervor kam. An Deck hielten sich Menschen auf, deren Gesichter auf den ersten Blick denen von plattnasigen Hunden ähnelten.
    Entweder waren sie die natürlichen Feinde der Eindringlinge oder eine Art Kampftruppe der Kaàliten. Sie hatten die Tätowierten kaum erspäht, als sie wie ein Bluthundrudel zu jaulen anfingen.
    »Ha!« Karan Khan beugte sich über den Korbrand. Er hielt etwas in der linken Hand, das Pofski an den Besuch im Keller Omars erinnerte.
    Und tatsächlich zog Karan in diesem Moment den kleinen Stift aus dem metallenen Ei heraus, wie der Waffenhändler es ihnen geraten hatte, zählte bis sieben und warf es über Bord.
    Obwohl sie
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