1610 03 - Soehne der Zeit
raste, als ich die typische Geste erkannte, mit der sie ein Grinsen verbarg. »Ich muss Euch sagen, Messire, die Diener heutzutage sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren …«
Ich spürte, wie meine Lippen zuckten. »Mademoiselle, habt Ihr plötzlich nicht auch das Gefühl, eines von zwei sich zankenden Kindern zu sein?«
Ohne auf ihre Antwort zu warten, salutierte ich vor Gabriel wie ein einfacher Soldat und schritt zwischen Männern und Pferden hindurch voran.
Sie lebt. Und falls Doktor Fludd auch leben sollte, stellt er noch immer eine Ressource dar … und wenn es mir gelingen sollte, ihn aus Nihon zurückzubringen, kann er als Einziger die Sicherheit von Messire de Sully garantieren. Nichts hat sich verändert. Und doch … Sie lebt!
Heinrichs Tod lag nun fast ein Jahr zurück, und nicht zu wissen, was daheim vorging, war genug, um einen Mann in den Wahnsinn zu treiben. Lebte Sully noch? Hatte man ihn gehängt? Was?
Es war sehr klug von Gabriel Santon, dass er seinen Herrn vor einem Streit bewahren wollte, den dieser bis zum Äußersten getrieben hätte. Ich kann ihr immer noch nicht wehtun.
Die Besitzerin der Herberge – oder des Bordells; dessen war ich nie sicher gewesen – akzeptierte meine Erklärungen in Niederländisch, Portugiesisch und zusammengestückeltem Nihonesisch, dass wir einen weiteren Gast haben würden, und sie versprach, einen Raum vorzubereiten. Dariole und Gabriel kamen ein wenig später, als ich erwartet hatte, was mich vermuten ließ, dass einer von beiden unter vier Augen mit dem anderen hatte sprechen wollen.
»Hier, Mademoiselle.« Ich kniete mich nieder und schob die Trennwand beiseite, hinter der sich ihr Zimmer befand.
»Es ist leer.« Dariole drehte sich hierhin und dorthin und schaute in die anderen Räume mit ihren weißen Bodenmatten. »Da sind ja überhaupt keine Möbel.«
Ihre Reaktion ließ mich lächeln. Tatami matten auf dem Boden und Shoji paneele als Fenster beziehungsweise Türen … Ja, auch für meine Augen hatten die Zimmer leer gewirkt, als wir zum ersten Mal hierher gekommen waren. Dariole hockte sich hinter die Tür, legte die zusammengerollte Decke neben sich, schob die Schiebetür vor und zurück. Ihre Stiefel hinterließen staubige Abdrücke auf den Matten. Hinter ihr in dem Zimmer befanden sich nur eine kleine Nische und etwas, das ein Hocker hätte sein können, wäre es breiter oder höher gewesen.
»Gabriel?«
Er kam aus einem innen liegenden Raum – der trotzdem nicht dunkel war. Die nihonesischen Häuser waren weit heller als jene in Frankreich, wo Binsenfackeln die Luft mit ihrem Gestank erfüllten, von denen ein Dutzend zusammen es gerade einmal so hell machten wie an einem regenverhangenen Tag.
»Ich dachte mir, du könntest vielleicht etwas zu essen vertragen.« Gabriel stellte ein Tablett auf die Matte und hockte sich ungelenk daneben.
Die Porzellanschalen auf dem Tablett enthielten eine seltsame Mischung aus nihonesischer und europäischer Küche, was in Nagasaki vermutlich noch nicht einmal so ungewöhnlich war. Ich aß, und als ich halb fertig war, kam Mademoiselle Dariole wieder den Gang hinunter und gesellte sich zu uns.
Sie aß schweigend. Ich sah, wie sie von Zeit zu Zeit zu Gabriel Santon blickte. Schließlich sagte sie beinahe höflich: »Was denkt Ihr, Messire Rochefort … Sieht Fludd unsere Handlungen noch immer mit seiner Mathematik voraus, oder ist die Reise nach Japan einfach nur Ausdruck seiner Verzweiflung?«
Ich wollte sie berühren, sie an mich drücken. Ihr Gesicht spiegelte die Erinnerungen wider. Fludd im Tower. Fludd und Northumberlands Männer Luke und John, denen er nicht befohlen hatte, ihre Gelüste im Zaum zu halten. Dariole schwieg dazu, doch ich bezweifelte, dass nur einer von beiden sie sich genommen hatte.
»Das ist schwer zu sagen«, gestand ich. »Aber nach dem zu urteilen, was ich beobachte … Es könnte durchaus sein, dass er bis auf die Stunde genau weiß, wann seine Verfolger dort sein werden, wo er sich im Augenblick aufhält, sodass er vorher verschwinden kann … oder er ist verloren.«
Dariole wischte sich die Nase ab und schnaufte leise.
Ich reichte ihr eine Schale cha , den Gabriel inzwischen so gerne mochte, auch wenn die Art, wie er ihn servierte, die japanischen Gäste der Herberge aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstand, immer wieder zusammenzucken ließ. »Mademoiselle, ich bin bereit, die Angelegenheit erst einmal ruhen zu lassen, bis wir Fludd gefunden haben. Doch
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