Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1610 03 - Soehne der Zeit

1610 03 - Soehne der Zeit

Titel: 1610 03 - Soehne der Zeit
Autoren: Mary Gentle
Vom Netzwerk:
eingestellt?«
    »Weil ein Herr wie du nichts Besseres bekommt.«
    »Ah, ja. Das muss es sein.«
    Ich drehte mich wieder zum Hafenbecken um und warf einen letzten Blick auf die Seeleute, die sich gegen ihre Ruder lehnten. Ein weiterer Mann warf sein Bündel vom Boot ans Ufer, stieg aus, legte sich eine zusammengerollte Decke über die Schulter und kam auf uns zu: zwischen Hunden hindurch, schwarzen nubischen Dienern, halb nackten Sklaven, die Sänften trugen, und Männern mit den Doppelschwertern in ihren obi genannten Stoffgürteln.
    Es war ein dünner Mann, mittelgroß, und auf hundert Schritt Entfernung vermochte niemand sein Alter einzuschätzen.
    Er wird derjenige sein, dessen Beschreibung Gabriel von den Zollbeamten gekauft hat.
    Ich kniff die Augen zusammen. Sie spielten mir die üblichen Streiche wie ›sie ist es, sie ist es nicht‹, bis mir die Tränen in die Augen traten.
    Langsam sollte ich mit diesen Hoffnungen aufhören, dachte ich. Verzweiflung und Enttäuschung: Beides ist mir vertraut. Für die Einwohner Japans sehen alle gaijin gleich aus. Häufig hatte man mir in den vergangenen Wochen Beschreibungen von Neuankömmlingen gegeben, die mich hatten glauben lassen, es könne sich in der Tat um Robert Fludd oder Mademoiselle de Montargis de la Roncière handeln. Doch bei genauerem Hinsehen waren diese Leute den Beschriebenen nicht im Mindesten ähnlich.
    Der Mann hier sah jung aus. Er kam durch den Staub auf mich zu und wurde langsamer, je näher er kam. Schließlich blieb er vor mir stehen und warf sein Bündel auf die Erde.
    Ich schaute in weit auseinander liegende, strahlende Augen und in ein von der Sonne gerötetes Gesicht unter einer Samtkappe. Er schien frisch rasiert zu sein, der Schnurrbart nur ein Schmutzstreifen unter der Nase. Seine Hand ruhte auf dem Heft eines italienischen Rapiers.
    »Was ist es denn diesmal?« Die Lippen verzogen sich nicht ganz zu einem Lächeln. »›Herault‹, ›Belliard‹ oder ›Rochefort‹?«
    Ich schaute auf Dariole und war viel zu benommen, um ihr zu antworten oder sie auch nur zu begrüßen. Sie stand so nah vor mir …
    »Ihr … Ihr habt Euch kaum verändert«, staunte ich schließlich.
    Ihr Haar war einen Fingerbreit länger geworden, vielleicht auch zwei, und fiel ihr bis auf die Schultern. Größer kam sie mir allerdings nicht vor.
    Ich trat einen Schritt vor, um die Arme um sie zu legen.
    Sie wich einen halben Schritt zurück.
    Derart gemieden ließ ich meine Arme wieder sinken und brachte schließlich eine glaubwürdige Verbeugung zu Stande, ohne jedoch den Blick von ihr wenden zu können. Als ihre Erleichterung, ein vertrautes Gesicht zu sehen, verflog, legte sich eine zurückhaltende, aber unverkennbare Kälte auf ihre Züge.
    »So. Rochefort. Heißt das, dass Ihr Fludd erwischt habt?«
    Viel zu benommen, um lügen zu können, sagte ich: »Nein. Ich weiß nicht einmal, ob er schon in Japan ist.«
    Sie hob den Kopf. Die Vertrautheit mit der Szenerie, die ich mir im Laufe der Wochen angeeignet hatte, verschwand, und ich sah plötzlich alles neu mit ihren Augen: das Chaos wimmelnder Menschen und die niedrigen, viereckigen Häuser, die den Hafen von Nagasaki bildeten. Dariole schnüffelte die Luft. Die Hitze ließ sie bereits unter den Armen schwitzen; die Wamsärmel hatte sie abgemacht. Ihr Gesicht brannte, und zum Schutz vor der Sonne kniff sie die Augen zusammen.
    Sie ist es, dachte ich. Sie ist es!
    Eine Stimme rief: »Monsieur Dariole!«
    Ich erschrak. Der Kapitän des niederländischen Schiffes grüßte sie im Vorübergehen. Dariole nahm die Mütze ab und verneigte sich zur Antwort. Ja sie war sicherlich ein geselliger, junger Mann auf der Reise gewesen …
    Der rangaku- Kapitän trug weiterhin Wams und Pluderhose, während seine Offiziere und Männer es Gabriel und mir gleichgetan und zu venezianischen Hosen gewechselt hatten, die bis zum Knöchel statt nur bis zum Knie reichten. Außerdem bestanden sie aus einem ausgesprochen leichten, luftigen Stoff – die Seeleute sagten stets, Baumwolle sei hier so günstig wie Leinen in Frankreich. Ich sah, wie Dariole die kühlere Kleidung beäugte sowie den nubischen Pagen, der den Hut des Kapitäns wie einen Sonnenschirm hinter ihm hertrug.
    Sprachlos vor Staunen, was so gar nicht zu meinem Alter passte, dachte ich: Ich kann kaum glauben, dass sie hier wirklich vor mir steht …
    Gabriel Santons raue Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Ihr werdet irgendwo bleiben müssen. Wir wohnen in einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher