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16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren

16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren

Titel: 16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
Autoren: Karl May
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wirklich wissen willst, er war eigentlich ein Odundschu (Holzhacker) und schneiderte nebenbei auch für die andern Holzhacker. Die Bügeleisen aber hatte er, glaube ich, auch von seinem Großvater geerbt.“
    „Der wohl auch wieder kein Schneider gewesen war?“ lachte ich hellauf. „Bist du verheiratet?“
    „Nein; aber ich werde es bald sein.“
    „So beeile dich, damit du diese berühmten Bügeleisen an deine Enkel vererben kannst. Man muß dem Beispiel seiner Väter treu zu bleiben suchen, und ich hoffe, daß die Eisen niemals in eine andere Familie geraten.“
    „Nein, Herr, das werde ich nicht zugeben“, versicherte er ernsthaft. „Von diesem treuen Miras nazargiahi (Erbstück) wird meine Familie sich nimmer trennen. Aber ich muß dich doch bitten, mir zu befehlen, was ich tun soll.“
    „Ich befehle dir, dieses Erbstück gar nicht wieder anzurühren. Muß ich mir meine Hose selbst ausbessern, so kann ich mir nachher auch die Sachen selbst ausbügeln.“
    Er nahm die Hände aus den Haaren, tat einen tiefen Atemzug und war mit zwei großen Schritten zur Tür hinaus. Halef wäre ihm am liebsten mit der Peitsche nachgeeilt, um ihn dafür zu züchtigen, daß er sich für einen Uruwadschi terziji oder – in modisches Deutsch wörtlich übersetzt – für einen Marchand tailleur ausgegeben hatte, ohne das Geringste von der Sache zu verstehen. Ich suchte ihn durch den guten Rat zu beruhigen, sich nicht immer durch Titel und Würden anderer blenden zu lassen.
    Gestehen will ich aufrichtig, daß das Bügeln mir auch nicht schneidig von der Hand ging, zumal meines Wissens niemals ein Bügeleisen in meiner Familie vererbt worden war; aber als ich das Meisterstück schließlich zu Ende gebracht hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als möglichst stolz auf mein Werk zu sein, worin Halef mich aus allen Kräften bestärkte. Er behauptete, niemals so kräftige und haltbare Stiche wie die meinigen gesehen zu haben, und freute sich ganz besonders darüber, daß die gebügelten Stücke einen gewissen Glanz angenommen hatten, fast so, als ob sie mit Speckschwarte eingerieben worden seien. Meister des Handwerks haben mir später freilich die Versicherung gegeben, daß ich mir auf diesen Umstand gar nichts einbilden dürfe.
    Jetzt kam der Aufseher mit seinem Bruder, welcher meldete, er sei bereit, mit uns aufzubrechen. Der Schneider mochte berechnet haben, daß eine Inanspruchnahme seiner Kunst nicht mehr zu fürchten sei. Er steckte den Kopf zur Tür herein und kam, als er mich in meinem eigenen Anzug dastehen sah, mit frohem Gesicht vollends heran.
    „Herr“, sagte er, „wie ich sehe, bist du fertig. Aber da du meine zwei Bügeleisen dabei gebraucht hast, so hoffe ich, daß du mich dafür mit einem tüchtigen Bakschisch beglückst.“
    „Das sollst du erhalten“, sagte Halef.
    Er verschwand in dem Verschlag und kehrte mit den ‚Stiefeln der Gicht‘ zurück. Sie sahen mehr Tüten als Stiefeln ähnlich. Halef hielt sie dem Bittsteller hin und sagte in gütigem Ton:
    „Wir verehren dir diese Kablar fil ajaslari (Futterale der Elefantenfüße) als ein ewiges Anerkennungszeichen deiner Kunstfertigkeit. Tu sie zu deinen Bügeleisen, und vererbe sie an deine Enkel und Enkelsenkel, damit diese deine Nachkommen ein bleibendes Andenken daran haben, daß ihr Ahne die große Kunst verstanden hat, Hosenbeine zusammenzunähen. Allah schuf Affen und Esel; dich aber schickte er als die Krone dieser Schöpfung her nach Rumelia!“
    Der Schneider griff nach den Stiefeln und betrachtete sie mit großen Augen. Ein solches Bakschisch hatte er nicht erwartet, noch dazu in Begleitung einer solchen Widmungsrede.
    „Nun, was schaust du hinein, als ob du meintest, dein Verstand müsse darinnen stecken?“ fragte Halef. „Mache dich mit ihnen von dannen, und preise unsere Großmut, welche dich mit einer solchen Gabe begnadigt hat!“
    Ich unterstützte diese Aufforderung, indem ich einige Piaster in die Stiefel fallen ließ. Damit hatte ich den Bann von der Seele des Mannes genommen. Er konnte wieder sprechen, bedankte sich für das Geschenk und eilte mit demselben von dannen.
    Jetzt kam der Abschied. Ich kürzte ihn soviel wie möglich ab, und dann ritten wir davon, meist über ungebahnte Wiesen dem Westen zu.

KARL MAY

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