Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
143 - Rulfan von Coellen

143 - Rulfan von Coellen

Titel: 143 - Rulfan von Coellen
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
sämtliche Fenster und Mauerlücken in der Domfassade sprühten Feuer. Es war, als würde eine Sonne im Dom aufgehen. Glas und Steinsplitter spritzten ihm vor die Füße oder trafen seinen Körper. Er stand auf und schüttelte den Kopf. Welch ein Phänomen! Welch eine Denkblockade! Welch eine Rasse…
    Auch in den angrenzenden Häusern waren die Fensterscheiben zerbrochen. Der Detonationslärm würde den letzten Schläfer geweckt haben. Minuten später schon strömten sie auf dem Domplatz zusammen, schrien ihr Entsetzen hinaus, und ihre Dankgebete, weil der Dom selbst noch stand. Jemand organisierte eine Löschkette…
    Est’hal’orguu packte einen Jungen am Arm, der an ihm vorbei zu den Löscheinheiten rennen wollte. »Warte.« Er hielt ihn fest. »Es gibt hier in Coellen einen Mann namens Rulfan. Kennst du ihn?«
    »Jeder hier kennt ihn, Herr.«
    »Gehe morgen zu ihm und sage ihm, dass der Sohn Est’sil’aunaaras ihn in Marienthal erwartet. Wiederhole.«
    Der Knabe wiederholte Wort für Wort. Danach erst ließ Est’hal’orguu ihn los. Ohne Eile verließ er die Domsiedlung, stieg in den Amphibienpanzer und steuerte ihn in den Rhein und nach Süden…
    ***
    Noch in derselben Nacht konnten die Coelleni das Feuer im Dom löschen. Allerdings war das Gebäude zum größten Teil ausgebrannt. Dort, wo das neue Bassin der schrecklichen Muna sich einst befand, klaffte jetzt ein Krater im Boden.
    Am nächsten Tag herrschte Chaos in der Siedlung.
    Orientierungslose Menschen bevölkerten die Gassen. Rulfan und Paacival zogen mit Gittis Attenau durch Coellen und beruhigten die Leute. Chira sprang hinter ihnen her.
    Sie gingen von Haus zu Haus und spritzten den Coelleni das Gegenmittel. Alle ließen es über sich ergehen, denn Gittis Attenau, die Schwiegertochter des Kanzlers riet ihnen dazu, und sie genoss unbegrenztes Vertrauen bei den Coelleni.
    In einem der Häuser sprach ein Elfjähriger Rulfan an. »Da war ein Mann in der Nacht des Brandes, Herr«, sagte der Knabe. »Er saß am Rand der Domplatte und hielt mich auf. Er sagte, der Sohn Est’sil’aunaaras würde dich in Marienthal erwarten. Ein komischer Kerl, sah aus wie ein Barbarenkönig.«
    Drei Tage später hatten alle Coelleni die Nebenwirkungen ausgestanden. Sie litten mehr als die Dysdoorer, aber lange nicht so heftig, wie Rulfan gelitten hatte.
    Der hünenhafte Verletzte stammte tatsächlich aus Marienthal. Er hieß Paul-Xaver von Leyden. Seine Wunden heilten gut, er befand sich auf dem Weg der Besserung. Kaum konnte er sprechen, hatte er Gittis vom Sprengstoff in seiner Rippe erzählt, und sie gebeten, im Dom nach einer Frau namens Calundula zu suchen. Sie fanden niemanden mit diesem Namen.
    Am Morgen dieses Tages versammelten sich die Einwohner von Coellen auf der Domplatte. Eine Rede Rulfans war angesagt.
    »Das war nicht der erste Kampf, den wir gemeinsam gewonnen haben«, begann Rulfan. »Aber auch nicht der letzte. Ich kann euch nicht anlügen: Der schlimmste Kampf steht uns noch bevor.« Er rief ihnen in Erinnerung, was sie längst wussten: Dass die Daa’muren die Unterwerfung der Erde auf ihre Fahnen geschrieben hatten, und dass der Krieg längst begonnen hatte. »Auch diesen Kampf können wir gewinnen, meine Brüder und Schwestern, mag es uns jetzt auch noch unmöglich erscheinen. Aber nichts ist unmöglich! Wenn wir zusammenhalten, werden wir jeden Feind besiegen!«
    Chira auf dem Arm, stand er vor dem Dom und hörte sich ihren Jubel an. Paacival und die Krieger aus Poruzzia musterten die Männer und Halbwüchsigen, die sich freiwillig zum Kampf gegen die Daa’muren meldeten. Rulfan beobachtete sie. Wie viele Lebensjahre hatte er damit verbracht, in dieser schönen Gegend gegen irgendwelche Feinde zu kämpfen. Hörte es denn niemals auf?
    Und schon wartete in Marienthal der nächste Kampf auf ihn.
    Nein, es hörte niemals auf.
    Das Gefühl der Fremdheit und Einsamkeit beschlich ihn wieder. Er drückte Chira an sich, und plötzlich durchzuckte ihn die schmerzhafte Erinnerung an Wulf, seinen weißen Lupa. Er drehte sich um und sah in den Sommerhimmel. Westwind trieb eine seltsame Wolkenformation über den Dom hinweg. Sie erinnerte ihn an den Schädel seines toten Lupa.
    Ein bitteres Lächeln flog über seine Miene. Eines Tages würde alles nur noch blasse Erinnerung sein, selbst dieser schwarze, quicklebendige Welpe auf seinem Arm hier.
    Erinnerung, flüchtig wie Wolken, die der Wind eine Zeitlang vor sich her blies um sie schließlich endgültig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher