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14 - Roman

14 - Roman

Titel: 14 - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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fast ebenso sehr wie die auf der anderen Seite, wenn nicht noch mehr. Anfangs hatten sie eine simple Aufgabe gehabt – vermeiden, dass der Soldat abhaut, dafür sorgen, dass er sich ordnungsgemäß töten lässt –, doch während der Kampfhandlungen bildeten sie im Rücken der Truppen Sperrlinien, um Panik zu unterbinden und spontane Rückzugsbewegungen abzufangen. Bald hatten sie die Kontrolle über alles an sich gerissen, griffen nach Lust und Laune ein, sorgten entlang der Straßen inmitten des von der Bewegung so vieler Leute bewirkten Durcheinanders für Ordnung und vertraten die Polizeimacht bis tief in alle Bereiche der Armeen, an der Front wie in der Etappe.
    Den Gendarmen oblag es, die Papiere der Fronturlauber zu kontrollieren und alles zu überwachen, was die den einzelnen Einheiten zugewiesenen Grenzen überschreiten wollte – hauptsächlich Ehefrauen und Huren, die aus verschiedenen Gründen zu den Männern gelangen wollten, aber auch immer unerbittlicher allerlei Händler, die alles Mögliche zu Wucherpreisen anboten und die Soldaten immer gieriger aussaugten, wie anderes Ungeziefer auch –, und so stellten sie auch den Zuspätkommern, Betrunkenen und Aufrührern nach, den Spionen und Deserteuren, einer Kategorie, zu der sich Arcenel jetzt auch gesellt hatte, ohne es zu wissen oder zu wollen. Und zurück im Quartier, verbrachte er den Rest des Tages sowie die Nacht im verrammelten Feuerwehrschuppen von Somme-Suippe, ohne Wasser und Brot, um anderntags vorm Kriegsgericht zu erscheinen.
    Arcenel wurde in die Dorfschule mehr geschoben als geführt, in deren größtem Klassenzimmer dieses improvisierte Gericht tagte: ein Tisch und drei Stühle, gegenüber ein Hocker für den Angeklagten. Eine zerknitterte Trikolore hinter den Stühlen, ein Militärgesetzbuch und weiße Formulare auf dem Tisch. Die auf den drei Stühlen sitzenden Männer bildeten den Gerichtshof, es waren der Regimentskommandant, flankiert von einem Leutnant und einem Stabsfeldwebel, die wortlos zusahen, wie Arcenel hereinkam. Mit ihren Schnurrbärten, dem gebückten Rücken und dem durchweg eiskalten Blick schienen ihm diese Männer identisch mit den Berittenen vom Vortag auf der Lichtung: Die Zeiten waren ernst, der Personalmangel besorgniserregend, vielleicht war man gezwungen gewesen, dieselben drei Schauspieler für diese Szene zu engagieren, und hatte ihnen nur gerade Zeit gelassen, die Uniformen zu wechseln.
    Wie auch immer, alles ging sehr schnell. Nach einer summarischen Aufzählung der Fakten, einem kurzen Blick der Form halber ins Gesetzbuch, einem untereinander gewechselten Blick hoben die drei Offiziere die Hand zur Abstimmung und verurteilten Arcenel wegen Desertion zum Tode. Die Strafe war zur Ausführung innerhalb von vierundzwanzig Stunden bestimmt, der Rat behielt sich das Recht vor, ein Gnadengesuch zurückzuweisen – aber diese Idee tauchte in Arcenels Geist erst gar nicht auf, bis man ihn wieder in den Feuerwehrschuppen sperrte.
    Die Exekution fand am nächsten Morgen beim großen Bauernhof von Suippe statt, auf dem Schießplatz, vor den Augen des versammelten Regiments. Man ließ ihn vor sechs in Habtachtstellung und Gewehr bei Fuß aufgereihten Männern niederknien, unter denen er vier, fünf Meter von sich entfernt zwei Bekannte entdeckte, die sich mehr schlecht als recht bemühten, seinem Blick auszuweichen, im Hintergrund ein Feldgeistlicher in Uniform. Zwischen ihnen und ihm im Profil ein Feldwebel, der das Peloton kommandierte, den Säbel in der Hand. Nachdem sich der Feldgeistliche seiner kleinen Aufgabe entledigt und man Arcenel die Augen verbunden hatte, sah er also nicht, wie seine Bekannten das Gewehr anlegten und den linken Fuß vorsetzten, sah nicht den Feldwebel seinen Säbel heben, er hörte nur vier kurze geschriene Befehle, deren vierter Feuer lautete. Nach dem Gnadenschuss am Ende der Zeremonie wurde ein Defilee an seiner Leiche entlang befohlen, damit dieser Urteilsspruch der Truppe etwas zum Nachdenken gab.

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    A ls Anthime nach Hause kam, betreute man ihn sorgfältig während seiner Rekonvaleszenz, pflegte und verband ihn, wusch ihn und gab ihm zu essen und wachte über seinen Schlaf. Man, das heißt vor allem Blanche, die ihm erst liebevoll vorwarf, dass er während seiner fünfhundert Tage an der Front abgenommen hatte – dabei vergaß sie ganz, die ungefähr dreieinhalb Kilo abzuziehen, die ein verlorener Arm dazu beiträgt. Als er dann einigermaßen wiederhergestellt schien, manchmal
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