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14 - Roman

14 - Roman

Titel: 14 - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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immer Myriaden von sich stets erneuernden Eiern, die nur von einem ordentlich heißen Bügeleisen hätten vernichtet werden können, einem Zubehör, das im Schützengraben nicht vorgesehen war. Zu den lustigeren Erinnerungen gehörte zum Beispiel neben dem Gebrauch der konventionellen Waffen das fleißige Üben mit der Schleuder, um mit ihr sodann über die Stacheldrahtverhaue hinweg zu den Leuten da drüben Konservendosen voller Urin zu schießen. Und ebenso, auf einer anderen Ebene, die Konzerte der Regimentsmusiker oder auch das Akkordeon, das der Hauptmann in Amiens zu kaufen befohlen hatte und allabendlich spielen ließ, und zu den Klängen dieses Instruments tanzten dann die Ordonnanzen mit den Verbindungsoffizieren. Oder auch an manchen Tagen, wenn das möglich war, die Verteilung der Post – denn sie schrieben unendlich viel und bekamen unendlich viel, eine enorme Anzahl an Postkarten, aber auch an Briefen, wie jene knappe Nachricht, durch die Anthime erfahren hatte, dass Charles gefallen war. Und jetzt war es zu spät, als dass dieser noch hätte von der Anzeige profitieren können, die zwei Monate nach Beginn des Weltkriegs erschienen war: »Der Miroir kauft zu jedem Preis fotografische Dokumente des Krieges an, die irgend von besonderem Interesse sind.«

15
    U nd wie es weiterging, weiß man ja. Die Frühlingsoffensive im vierten Kriegsjahr verschlang eine gewaltige Menge Soldaten. Das Prinzip der Massenarmee verlangte die permanente Wiederaufstellung ganzer Bataillone und somit eine stetig wachsende Rekrutierung, immer jüngere Jahrgänge wurden eingezogen, was einen nicht abreißenden Bedarf an neuem Material und neuen Uniformen verursachte – so auch neuer Schuhe – und entsprechende Aufträge an die Zulieferindustrie mit sich brachte, wovon Borne-Sèze üppig profitierte.
    Die rasche Folge und die Dringlichkeit der Bestellungen sorgten zusammen mit der Skrupellosigkeit der für die Fabrikation Verantwortlichen bald dafür, dass Stiefel von fragwürdiger Qualität geliefert wurden. Man achtete immer weniger auf eine noch so geringe Lederqualität, wählte häufig im Schnellverfahren gegerbtes Lamm, das günstiger, aber auch dünner und weniger haltbar war, sozusagen kurz vor Karton. Man verlegte sich auf Schnürbänder mit quadratischem Querschnitt, die leichter herzustellen, aber auch weniger reißfest waren als solche mit rundem Querschnitt, und legte weniger Wert auf die Ausführung der Enden. Man knauserte sogar mit Nähfaden und ersetzte die kupfernen Ösen durch möglichst billige, leichter rostende, dasselbe bei den Nieten, Knöchelverstärkungen, Nägeln. Kurz, der Materialeinsatz wurde extrem reduziert, ohne jede Rücksicht auf Haltbarkeit und Dichtigkeit.
    Bald reklamierte die Intendantur den zu häufigen Ausfall dieser Stiefel, die Wasser zogen und deren Nähte sich rasch auflösten, so dass sie im Schlamm der Front keine zwei Wochen hielten; zu oft klafften sie am Rand schon nach drei Tagen auf. Da schließlich der Generalstab sich beschwerte, wurde eine Untersuchung anberaumt: Bei der Überprüfung der Bücher der Heereslieferanten nahm man auch die von Borne-Sèze unter die Lupe, wobei bald eine monströse Spanne zwischen Preis und Herstellungskosten der Treter zutage kam. Die Entdeckung einer derartigen Marge löste einen schönen Skandal aus, Eugène behauptete, von nichts zu wissen, Monteil spielte sich auf und drohte mit Kündigung, und schließlich zog man sich aus der Affäre, indem man Madame Prochasson und ihren Mann feuerte, der für den Einkauf zuständig gewesen war – eine Entschädigungszahlung half ihnen, die Rolle als Sündenbock auf sich zu nehmen. Am Ende wurde das Ganze dank weiterer Mauscheleien niedergeschlagen – wieder mit Hilfe von Monteils Freunden –, doch ließ sich nicht verhindern, dass es bis nach Paris drang, wo Borne-Sèze dann doch vor einem Handelsgericht erscheinen musste: nur pro forma, aber da müssten sie durch. Eugène führte sein Alter an, um sich zu drücken, Monteil seine Patienten, und so wurde Blanche dazu bestimmt, die Firma in der Hauptstadt zu vertreten, die vorschlug, sich von Anthime begleiten zu lassen, und alle stimmten zu.
    Dieser selbe Anthime also hatte sich nach seiner Rückkehr ins Zivilleben an das Fehlen seines rechten Armes gewöhnt, auch wenn er irgendwie lebte, als ob er ihn noch hätte, und es war ihm auch so, als würde er ihn immer noch sehen, wenn er kurz auf seine rechte Seite schaute, und erst wenn sein Blick länger
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