Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1280 - Der Engel und sein Henker

1280 - Der Engel und sein Henker

Titel: 1280 - Der Engel und sein Henker
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
leer gewesen, denn deine Eltern waren nicht mehr am Leben. Sie wurden bestraft. Sie haben nicht gehorcht, und sie haben gemordet.«
    Lavinia hatte Mühe, an sich zu halten. »Meine Eltern damals sind Mörder gewesen?«
    »Ja.«
    »Wen töteten sie?«
    »Sie stellten sich gegen die Obrigkeit. Sie brachten den Statthalter des Königs um. Aber man hat sie dabei gesehen, und so wurden sie vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt.«
    Es wurde immer schlimmer, und Lavinia weigerte sich eigentlich, dem zu folgen. Der Henker hatte noch nicht alles gesagt, und sie befürchtete das Schlimmste.
    »Hast du sie getötet?«
    »Ja, es war meine Pflicht, sie zu köpfen, und das habe ich getan.« Er grinste jetzt und ließ Lavinia nicht zu Wort kommen. »Aber ich hätte noch mehr tun sollen. Man hat mir gesagt, dass die gesamte Familie ausgerottet werden soll, und dazu hast du gehört. Ich bin in eure Hütte zurückgekehrt. Dort habe ich dich gefunden, und ich hätte dir den Kopf abschlagen müssen. Ich sehe dich noch vor mir. Du hattest dich dort verkrochen, wo es sehr dunkel gewesen ist. Ich habe dich aus dieser Dunkelheit hervorgezerrt, dich ans Licht geschafft, und da habe ich dich genauer gesehen. Ich sah deine Jugend, aber ich sah auch deine Schönheit, die einfach nicht übersehen werden konnte. Du bist eine Blüte der Natur gewesen. Nie zuvor hatte ich eine Person gesehen, die so schön gewesen ist wie du…«
    Lavinia schloss die Augen. Sie konnte es kaum fassen, dass so etwas passiert war. »Dann hast du mich nicht getötet?«
    »So ist es. Ich habe dich nicht getötet. Ich nahm dich mit. Ich merkte, dass mir eine Frau gefehlt hat, und so habe ich mich eben für dich entschieden. Ich nahm dich mit zu mir, und du bist bei mir geblieben. Du warst mir eine gute Frau, aber du hast nie richtig auf meiner Seite gestanden. Ich habe dir später gesagt, dass ich es gewesen bin, der deine Eltern köpfen musste, und von da an hast du mich gehasst. Du standest nicht mehr auf meiner Seite, auf der du eigentlich nie richtig gestanden hast. Von nun an aber hast du dich den anderen Dingen hingegeben. Immer öfter sah ich dich beten. Du schienst eine Heilige werden zu wollen. Für dich waren die Engel so wichtig, die ich hasste. Wann immer du Zeit gefunden hast, warst du in deinem verdammten Gebet versunken. Oft auch in der Nacht hast du auf unserem Lager gekniet und gebetet. Du hast sie angerufen. Deine Stimme war genau zu hören gewesen, obwohl du sehr leise gesprochen hast. Das alles konnte ich mithören, und ich habe die Engel, gehasst. Für mich gab es andere Engel. Es waren die gestürzten, die Boten der Hölle mit dem Teufel an der Spitze. Aber die hast du nicht gemeint.«
    »Nein, bestimmt nicht«, sagte sie.
    Der Henker lachte wieder, und sein Mund verzog sich dabei in die Breite. »Irgendwann konnte ich es nicht mehr hören. Diese verfluchten Gebete, dieses Vertrauen, das du den anderen entgegengebracht hast. Ich habe dich zum letzten Mal gewarnt und dir erklärt, dass ich es nicht mehr hören will. Aber du hast nicht auf mich gehört. Einfach nur genickt und trotzdem nicht getan, was ich wollte. Und das konnte ich nicht zulassen. Nein, auf keinen Fall. So etwas durfte nicht geschehen. Ich war dein Mann, du warst meine Frau, und du hast mir zu gehorchen gehabt. Aber du hast meine Warnungen in den Wind geschlagen.«
    Lavinia merkte, dass sie nicht mehr ruhig bleiben konnte. Zwar lief sie nicht weg, aber die innere Aufregung nahm zu. Ihr Herz schlug schneller, obwohl sie das Gefühl hatte, dass es von einem stählernen Ring umschlossen war. Sie stellte die alles entscheidende Frage.
    »Hast du mich dann getötet?«
    Sie bekam die Antwort, während ihr der Schweiß über das Gesicht lief. Aber sie hörte weder ein Ja noch ein Nein, sondern erhielt eine Erklärung vom Henker.
    »Es war eine besonders dunkle Nacht. Die Nacht nach meiner allerletzten Warnung. Da hast du dich aus dem Haus geschlichen, Martha, und du hast mich schlafen gewähnt. Aber ich habe nicht geschlafen, denn ich habe dir nicht getraut, und so bin ich dir nachgegangen. Du hast den Weg zur Kirche eingeschlagen. Dort wolltest du hinein und wieder, zu deinen verfluchten Engeln beten. Oder zu deinem Schutzengel. Ich hasste die Kirche, und ich war schneller als du. Noch vor der Tür holte ich dich ein, direkt auf den Stufen bekam ich dich zu packen. Ich fesselte deine Hände, und dann ließ ich dich niederknien, während ich mich hinter dich stellte.«
    Lavinia
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher