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124 - In der Gewalt der Daa'muren

124 - In der Gewalt der Daa'muren

Titel: 124 - In der Gewalt der Daa'muren
Autoren: Jo Zybell
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zugleich oberste Richterin der kleinen Siedlung in den uralten Ruinen von Beelinn. Jenny hatte abgelehnt. Vollkommen ausgeschlossen, Johaan in die Augen zu schauen und danach seinen Todeskampf aus nächster Nähe verfolgen zu müssen. Nein. Sie hatte dem neuen Gesetzeskodex der Frenen – so nannte sich der vereinigte Stamm aus Frawen und Menen inzwischen – kurzerhand ein neues Gesetz hinzugefügt, das die Verlesung von Anklage und Urteil durch ein beliebiges Mitglied jenes Rates vorsah, der es gefällt hatte. Oberst Willman gehörte dazu.
    »… kalten Blutes und ohne Gnade ließ Johaan seine Konkurrentin aus dem Weg räumen und scheute nicht davor zurück, seine Mätresse Naura für das Amt der Zweiten Beraterin vorzuschlagen, obwohl er genau wusste, dass diese die treue Miouu, die Leibwächterin der Königin, zu töten versuchte…«
    Es hatte übrigens Stimmen gegeben, die verlangt hatten, der neue Erste Königliche Berater solle das Urteil am Scheiterhaufen verlesen. Doch Arnau – auch er Mitglied des Gerichtsrats und seit einigen Wochen Jennys Vertrauter – musste sich in dieser Stunde um Ann kümmern. Auf keinen Fall durfte das Kind etwas von der Hinrichtung mitbekommen.
    Und Arnau war neben Bulldogg der Einzige, den es nach anfänglichen Schwierigkeiten, als Ersatzvater akzeptierte.
    Allerdings hatte Jenny keineswegs den Eindruck, dass ihre Tochter den blonden Mann aus dem hohen Norden genauso liebte wie sie es tat.
    Ann hatte zwar einen leiblichen Vater, doch Matthew Drax war nie da. Oder fast nie – erst zwei Mal hatte er seine Tochter gesehen; zuletzt Ende August.
    »… das Vertrauen des Hofes hat der Angeklagte in niederträchtigster Weise dazu ausgenutzt, einen Mordanschlag auf unsere geehrte und geliebte Königin zu planen…«
    Neben ihr zog der Oberst der Palastgarde scharf die Luft ein. Aus den Augenwinkeln beobachtete Jenny, wie Bulldogg schluckte und wie seine Kaumuskulatur arbeitete. Der Schock über Meister Johaans Verrat steckte ihm noch ähnlich tief in den Knochen wie ihr selbst. Miouu dagegen verzog keine Miene. Steif und blass wie eine Marmorstatue stand sie an Jennys linker Seite. Warum nur war sie so still und so in sich gekehrt? Seit dem Mordanschlag und ihrer wundersamen Wiederkehr war Miouu einfach nicht mehr die Alte.
    »… wird Meister Johaan nach den Gesetzen der Menen und Frawen von Beelinn zum Tode verurteilt. Und so übergeben wir den Verräter den Flammen und dem Zorn Wudans! Mögen Feuer und Tod den Schandfleck von Verrat und Mord aus seiner Seele brennen!«
    Oberst Willman rollte die Anklageschrift zusammen.
    Schleppenden Schrittes wankte er zurück in die erste Reihe der Zuschauer, wo die Ältesten und die Honoratioren der Siedlung standen. Sekundenlang war es totenstill. Kein Rascheln, kein Räuspern war zu hören, nicht einmal das Zwitschern eines Vogels. Jenny kam es vor, als würde eine unheimliche Macht die Zeit anhalten.
    Sie zuckte zusammen, als der erste Paukenschlag ertönte.
    Die Schwertträger packten Meister Johaan und führten ihn die Stiege zum Scheiterhaufen hinauf. Dort fesselten sie ihn an den Brandpfahl. Die Paukenschläge begleiteten jeden ihrer Schritte, jede ihrer Gesten, wie der Herzschlag des Grauens.
    Stadtwachen verließen den Scheiterhaufen, die Pauke verstummte, und jäh erhob sich wilder Trommelwirbel. Ein Sergeant der Stadtwache, ein gewisser Deenis, trat mit einer Fackel an den Scheiterhaufen und rammte sie in das Reisig unter den Holzscheiten. Einen Atemzug später umringten Flammen Meister Johaan, leckten nach seinen Kleidern und seinem Haar. Er riss den Mund zu einem stummen Schrei auf, hob den Kopf und starrte hinauf zu seiner Königin und ihrer Leibgarde…
    Jenny fuhr herum. Die Tränen strömten ihr über das Gesicht. Mit festem Schritt lief sie vom Balkon ins Haus hinein. Bulldogg folgte ihr, Miouu verharrte an der Balustrade wie festgewachsen.
    »Es ist furchtbar«, flüsterte Jenny. »Aber schlimmer noch als sein Tod schmerzt mich sein Vertrauensbruch.« Sie griff zu einem Tuch und wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Es tut so weh, so weh…«
    Etwas hilflos stand er hinter ihr, der wuchtige Oberst ihrer Palastgarde. Er suchte nach Worten, und auf einmal durchfuhr es Jenny siedend heiß: Was nun, wenn auch Bulldogg untreu wurde? Oder gar Miouu, die doch Tag und Nacht in ihrer Nähe blieb…?
    »Es ist… es ist traurig, meine Königin«, sagte Bulldogg mit belegter Stimme.
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