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1209 - Die Pest-Gitarre

1209 - Die Pest-Gitarre

Titel: 1209 - Die Pest-Gitarre
Autoren: Jason Dark
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Leben gestiegen…
    ***
    Die Gestalt war kein Mensch mehr, obwohl sie wie einer aussah. Sie war ein Wesen. Ein Toter und ein Lebender zugleich. Eine schreckliche, halb verweste Gestalt, an deren Knochen das Fleisch als grünlich-gelbe Stücke nach unten hing. Vergleichbar mit alten Lappen, die nicht abfallen konnten.
    Pee spürte das Entsetzen, das ihn in seinen Klauen hielt. Er stand wie ein Denkmal auf der Stelle und schaffte es nicht, seinen Blick von der Gestalt zu lösen.
    Sie spielte! Aber sie schlug die Saite nicht mit normalen Händen an, sondern mit ihrer Klaue, deren Finger aus Knochen bestanden.
    Weiter oben, zu den Armen hin, wuchs das Fleisch ebenfalls lappenartig nach unten, als hätte der Spieler die Pest.
    Er stand. Pees Blick glitt von unten nach oben. Der gesamte Körper war von diesen Fleischstücken besetzt, die lose an den Knochen hingen und mitzitterten, wenn der unheimliche Spieler seinen rechten Zeigefinger bewegte und damit immer wieder die Saite anschlug.
    Der Geruch innerhalb des Büros hatte sich verändert. Es roch nicht mehr nach kaltem Rauch, sondern nach Erde, Moder und allmählich vor sich hin verwesender Materie.
    Pee hätte davon abgestoßen sein müssen. Er war es nicht, und er ging weiter. Seinen Blick hatte er jetzt auf den Kopf der Gestalt gerichtet.
    Von einem Gesicht konnte man da nicht sprechen, denn auch dort war die Haut regelrecht angefressen.
    Schon angemodert hatte man sie nach unten gezogen, und sie zitterte bei jeder Bewegung der Gestalt mit.
    Pee hatte das Gefühl, zu lächeln. Dabei wurde nur ein Grinsen daraus, das sein Gesicht entstellte. Aber zugleich war er besessen, an die Gitarre zu gelangen. Es gab für ihn nur noch die Gitarre und die Gestalt, die sie hielt. Seine erste große Angst war verschwunden. Wieder kam ihm der alte Mann in den Sinn, und er glaubte auch, seine Stimme zu hören.
    »Du musst sie an dich nehmen. Es ist ein besonderer Sound. Der Sound of Satan. Der Sound der Hölle. Satan in Concert…«
    Hatte der alte Mann das wirklich gesagt, oder hatte er mit Pee in diesem Augenblick Verbindung aufgenommen? Pee konnte es beim besten Willen nicht sagen. Er war nur besessen von dem Gedanken, das Instrument an sich zu bringen, das ihm gehörte.
    Wenn das geschehen war, dann würde er eine gewisse Macht erhalten.
    Er hatte zwar keinen Beweis, doch er nahm es an. In seinem Innern hatte sich die Welt seiner Gedanken verändert, als wäre sie gelenkt worden.
    Der unheimliche Spieler hob seinen rechten Arm noch einmal an und schlug einen letzten langen Ton, der verklang, bevor er das Instrument sinken ließ.
    Vorbei…
    Alles aus! Nein, doch nicht, denn die Gestalt im schummrigen Totenlicht war noch da. Pee glaubte, dass sich sogar ihr Gesicht bewegte und ihn angrinste. Nicht nur das. Innerhalb des Gesichts malten sich plötzlich Züge ab, die ihm bekannt vorkamen. Er glaubte, das Gesicht des Alten zu sehen, der ihm diese Gitarre überlassen hatte. Für einen Moment nur, auch geisterhaft schwach, aber das Gesicht nickte ihm zu, als wäre erst jetzt alles in Ordnung.
    Pee trat noch einen Schritt näher. Er brauchte nur den Arm auszustrecken, um das Instrument zu greifen. Seine Hand geriet in das Licht. Er spürte auf der Haut ein Kribbeln, als würden Ameisen darüber hinweglaufen. Für ihn hatte es tatsächlich den Kontakt zu einer anderen Welt gegeben, der sofort wieder verschwand, als er die Gitarre berührte.
    In diesem Augenblick verschwand auch die halb verweste Gestalt. Sie zog sich zurück und sah aus, als hätte sie sich aufgelöst. Pee sah keinen anderen Abschied. Sie entwich wie Rauch, und das grünlich-gelbe Totenlicht verschwand ebenfalls.
    Pee war allein. In seiner rechten Hand hielt er die Gitarre am Griff fest. Sie gehörte ihm, doch er schaute sie an wie einen fremden Gegenstand.
    Die Dunkelheit war wieder sehr dicht geworden. Da hatte sich ein Vorhang über den Raum gelegt. Das Fenster sah aus wie der Zugang zu einer fremden Welt. Dahinter lag nur das graue Nichts des Hinterhofs, der von der Nacht verschluckt worden war.
    Pee atmete tief durch.
    Es war nichts passiert. Abgesehen davon, dass ihm die Gitarre von einer fremden Gestalt in die Hand gedrückt worden war, die es eigentlich nicht geben durfte. So etwas konnte nicht in der normalen Welt herumgeistern. Das gehörte ins Totenreich, in die Welt des Vergessens. Aber es gab sie trotzdem.
    Pee hielt die Gitarre fest, als wäre sie ihm ein zweites Mal geschenkt worden. Diesmal für immer und
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