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1208 - Leichenwelten

1208 - Leichenwelten

Titel: 1208 - Leichenwelten
Autoren: Jason Dark
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Himmel, sodass die Tür aussah, als wäre sie ein großes Gemälde, in das der Besucher hineintreten konnte.
    Jane trat ein und runzelte die Stirn. Der typische Museumsgeruch überfiel sie. Eine trockene Luft, eigentlich viel zu warm und zu trocken.
    Sie konnte ihren Mantel an der Garderobe abgeben. Der Obulus dafür war im Eintrittsgeld enthalten.
    Eine ältere Frau, über deren Oberlippen ein dunkler Damenbart schimmerte, saß an der Kasse und verkaufte die Karten.
    Sie schaute Jane kurz an und fragte: »Haben Sie starke Nerven?«
    »Ja. Warum?«
    »Die brauchen Sie auch.«
    »Danke für die Warnung. Aber«, sie beugte sich verschwörerisch vor, »wissen Sie, was ich von Beruf bin?«
    »Nein. Woher denn?«
    »Ich bin Leichenwäscherin. Meinen Sie noch immer, dass ich vor den Aufnahmen große Angst habe?«
    »Nein. Jetzt nicht mehr. Nur wundere ich mich, dass Sie sich die Ausstellung dann noch antun.«
    »Der Tod lässt mich eben nie los. Auch an meinem freien Tag nicht.«
    »Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß.«
    »Danke sehr. Ach, eine Frage noch. Ist es sehr voll hier? Oder kann ich mich frei bewegen?«
    »Um diese Zeit ist es nie voll. Sie haben Glück. Viel Vergnügen dann noch.«
    »Danke.«
    Jane drehte sich um und schritt auf eine zweiflügelige Glastür zu, an der eine junge Frau - wahrscheinlich eine Studentin - stand und die Karten abriss. Vor Jane hatten zwei Männer die Ausstellung betreten.
    Sie waren ganz in Schwarz gekleidet und wirkten wie zwei Todesengel.
    Auch Janes Karte wurde abgerissen. Ein freundliches Lächeln begleitete sie hinein in den ersten Raum mit den hohen Wänden und der ebenfalls hohen Decke. Sie kam sich vor wie in einer riesigen Schachtel.
    Bilder hingen hier nicht. Abgesehen von einer Ausnahme. An der Wand gegenüber und bis zur Decke reichend sah sie eine übergroße Fotografie eines Mannes, der in dieser Pose nur als der perfekte Selbstdarsteller bezeichnet werden konnte.
    Jane kannte ihn nicht persönlich. Trotzdem wusste sie, wer dieser Mann war, denn sein Bild hatte sie schon einige Male in den Zeitungen gesehen.
    Er hieß Aristide Goya! Ob es sein wirklicher Name war, wusste sie nicht. Vielleicht schwärmte er auch nur für den Maler Goya, der mit seinen realistischen und auch schaurigen Bildern die Menschen vor einigen hundert Jahren regelrecht geschockt hatte. Auch heute erzielten seine Bilder noch immer starke Wirkungen auf die Betrachter.
    Jane blieb in einer angemessenen Entfernung stehen, um sich das große Bild betrachten zu können.
    Sie musste zugeben, dass es schon etwas ausstrahlte. Weniger das Foto als Ganzes. Hier ging es um den Künstler, der darauf abgebildet worden war.
    Aristide Goya war ein schlanker Mensch. Er hatte sich für weiße Kleidung entschieden. Weiße Jacke, weißes Hemd, weiße Hose. Der Stoff wirkte an ihm ein wenig verknittert, als hätte er in diesem Anzug schon einige Nächte geschlafen. Bei genauerem Hinsehen stellte Jane fest, dass sich unter der offenen Jacke die Umrisse einer Weste abmalten.
    Einen Kontrast hatte er doch gesetzt. Es war der Hut. Der strahlte nicht so weiß wie der Anzug, sondern war schwarz oder zumindest dunkelgrau. Er hatte ihn leicht schräg aufgesetzt und die breite Krempe so gebogen, dass es richtig »fesch« aussah. Da die Krempe einen Schatten warf, war das Gesicht des Fotografen nicht in allen Einzelheiten zu erkennen. Ein Teil davon lag im Dunkel. Mehr die Partie um die Augen, aber die untere Gesichtshälfte war für Jane schon erkennbar, und sie hörte sich selbst zu, wie sie tief Luft holte.
    Sie versuchte, das Alter des Mannes zu schätzen. Es war schlecht möglich. Er konnte fünfzig sein, aber auch zehn Jahre jünger oder älter.
    Sie sah, dass er einen sehr sinnlich geschnittenen Mund besaß, dazu kam das ausgeprägte und schon fleischige Kinn, und auch die kräftige Nase war zu sehen, wenn auch nur in der unteren Hälfte.
    Der Künstler war schlank. Er hatte auf dem Foto eine recht lässige Haltung eingenommen und die Arme locker vor der Brust verschränkt.
    So wirkte er wie jemand, der sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Das rechte Bein hatte er leicht eingeknickt, nach vorn geschoben und gegen das starre linke gedrückt.
    Jane ließ sich mit der Betrachtung des Bildes Zeit. Sie wollte sich den Menschen genau ansehen, der seine Profession darin sah, Leichen zu fotografieren.
    Es ging von dieser Aufnahme schon eine gewisse Wirkung aus. Jane merkte, wie sich auf ihrem Nacken eine
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