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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht
Autoren: Elizabeth George
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ihrem Aufbruch nach Montecito hatte sie fast unablässig auf das Telefon gestarrt und innerlich gekocht, was bei beinahe sechsundzwanzig Grad morgens um neun Uhr keine Kunst war.
    Sie hatte versucht, sich zu beschäftigen. Sie hatte den ganzen Garten vorn und hinten und sogar den Rasen mit der Kanne gegossen. Sie hatte am Zaun mit Anita Garcia geschwatzt - Hey, China, macht dich das Wetter auch so fertig? Ich bin echt nur noch ein Wrack - und sich teilnahmsvoll angehört, wie sehr ihre Nachbarin in diesem letzten Monat ihrer Schwangerschaft unter Wassereinlagerungen in den Beinen litt. Sie hatte den Plymouth gewaschen und es dank sofortigem Trockenpolieren geschafft, dem Staub, der sich auf ihm niederlassen und sich in Schmiere verwandeln wollte, eine Nasenlänge voraus zu bleiben. Und zweimal war sie ins Haus gerannt, als das Telefon klingelte, aber es waren nur zwei so widerlich schmierige Vertretertypen gewesen, die sich immer erst erkundigten, wie es einem ging, ehe sie loslegten und einem einzureden versuchten, dass sich mit dem Wechsel der Telefongesellschaft auch das eigene Leben von Grund auf verändern würde.
    Schließlich war es Zeit gewesen, nach Montecito aufzubrechen. Doch sie war nicht losgefahren, ohne vorher ein letztes Mal den Telefonhörer abzuheben, um sich zu vergewissern, dass ein Signal zu hören war, und ihren Anrufbeantworter zu überprüfen, um sicher zu sein, dass er Nachrichten aufzeichnete.
    Die ganze Zeit über war sie wütend auf sich selbst, weil sie es nicht schaffte, ihm den Laufpass zu geben. Aber das war seit Jahren ihr Problem. Seit dreizehn Jahren, genau gesagt. Ach, verdammt, dachte sie, ich hasse die Liebe!
    Schließlich klingelte das Telefon doch noch, ihr Handy, als sie auf der Rückfahrt vom Strand schon fast daheim angekommen war. Sie hatte es auf dem Sitz neben sich liegen, und keine fünf Minuten vor dem Stück holprigem Gehweg, von wo der betonierte Fußweg zu ihrer Haustür abbog, begann es zu klingeln. Sie nahm das Gespräch an und hörte Matts Stimme.
    »Hallo, du Schöne.« Er wirkte ausgesprochen gut gelaunt.
    »Hallo!« Sie ärgerte sich über die Erleichterung, die in ihr hochschoss, als wäre eine Flasche gärender Angst entkorkt worden, und sagte weiter nichts.
    Er verstand sofort. »Bist du sauer?«
    Sie schwieg. Soll er ruhig schmoren, dachte sie.
    »Jetzt hab ich wohl endgültig verspielt?«
    »Wo warst du?«, fragte sie gereizt. »Ich dachte, du wolltest heute Morgen anrufen. Ich hab extra zu Hause gewartet. Ich hasse das, Matt. Wieso kapierst du das nicht? Wenn du keine Lust hast zu reden, dann sag es vorher, dann kann ich mich darauf einstellen. Warum hast du nicht angerufen?«
    »Tut mir Leid. Ich wollte ja. Ich habe den ganzen Tag immer wieder daran gedacht.«
    »Und -?«
    »Es klingt leider ziemlich dünn, China.«
    »Versuch's trotzdem.«
    »Okay. Gestern Abend wurde es plötzlich lausekalt. Ich bin den ganzen Morgen rumgerannt und habe versucht, einen anständigen Mantel zu finden.«
    »Du konntest nicht von deinem Handy aus anrufen, während du unterwegs warst?«
    »Ich habe es im Hotel liegen lassen. Tut mir wirklich Leid.«
    Sie hörte die allgegenwärtigen Hintergrundgeräusche Manhattans, den Lärm, den sie immer hörte, wenn er aus New York anrief. Das Hupen der Autos in den Straßenschluchten, das Dröhnen der Presslufthämmer, das wie Geschützdonner klang.
    Aber wenn er sein Handy im Hotel gelassen hatte, wieso stand er dann jetzt damit auf der Straße?
    »Ich bin auf dem Weg zum Essen«, erklärte er. »Die letzte Besprechung. Des Tages, meine ich.«
    Sie hatte den Wagen etwa dreißig Meter von ihrem Haus entfernt in eine freie Lücke eingeparkt. Sie hasste es, im stehenden Auto sitzen zu bleiben, die Klimaanlage des Wagens war zu schwach, um gegen die stickige Hitze im Innern anzukommen. Aber bei Matts letzter Bemerkung wurde die Hitze plötzlich unwichtig und war kaum noch wahrnehmbar. Chinas ganze Aufmerksamkeit war schlagartig auf die Bedeutung seiner Worte konzentriert.
    Immerhin hatte sie mittlerweile gelernt, den Mund zu halten, wenn er eine seiner kleinen verbalen Bomben losließ. Früher einmal wäre sie bei einer Bemerkung wie: »Des Tages, meine ich«, wie ein Berserker über ihn hergefallen und hätte versucht, seine Andeutung zu zerpflücken, um ihn festzunageln. Aber im Lauf der Jahre hatte sie begriffen, dass Schweigen ebenso gut wirkte wie Forderungen oder Anschuldigungen. Und es garantierte ihr die überlegene Position, wenn
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