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1174 - Blut für Ludmilla

1174 - Blut für Ludmilla

Titel: 1174 - Blut für Ludmilla
Autoren: Jason Dark
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der anderen Menschen, die ihn bewunderten, denn noch brachte niemand den Mut auf.
    Daniel trat zur Seite. »Ja, los«, sagte er, »geh noch näher an den Sarg heran. Sie tut dir nichts. Schöne Frauen tun einem nichts.« Er lachte schallend.
    Es war das einzige Geräusch in der Stille. Selbst die Schritte des Näherkommenden waren nicht zu hören, und dann sah der Mann das Gleiche wie Daniel und Ivo.
    Sein Gesicht veränderte sich. Die Züge erstarrten. Er riss die Augen weit auf und war noch nicht in der Lage, etwas zu sagen. Er konnte nur staunen, und auch seine Angst wich allmählich.
    Ludmilla war so schön.
    So schön und so tot!
    Aber sie war nicht verwest.
    Der Mann wusste nicht, wie lange er neben dem Sarg gestanden und geschaut hatte. Ihm kam es wie eine kleine Ewigkeit vor, als er sich endlich wieder zu den anderen Zuschauern hindrehte, zuerst die Schultern und danach die Arme anhob.
    Er wusste ja, dass sie von ihm eine Erklärung erwarteten, aber in seinem Mund musste sich erst der Speichel sammeln und die Trockenheit vertreiben.
    »Ich habe sie gesehen! Sie ist… sie ist nicht verwest. Sie ist so wunderschön. Es ist das Wunder. Sie… sie ist wie die heilige Bernadette von Lourdes, die auch nicht verweste. Das… das… ist bei uns geschehen. Ja, bei uns…« Schon bei den letzten Worten war seine Stimme leiser geworden, jetzt versagte sie ihm völlig.
    Aber man hatte seine Worte gehört. Und sie hatten es geschafft, den Menschen die Angst zu nehmen.
    Vom Himmel fuhr der erste Blitz der Erde entgegen. Er sah aus wie ein gezackter Speer, der in den Tiefen der Wälder verschwand. Recht spät grollte der Donner auf. Ein Zeichen, dass das Gewitter noch ziemlich weit entfernt war.
    Der Mann winkte mit beiden Händen, und es waren tatsächlich die Frauen, die ihre Starre als erste überwanden. Sie kamen auf den Winkenden zu. Die Füße schlurften dabei über den Boden hinweg.
    Kleine Staubwolken quollen in die Höhe.
    Niemand sprach mehr. Nur heftige Atemstöße wehten in den Wind hinein, der von den Bergen kam und wie ein schwülwarmer Schwall alles überschwemmte.
    Die Stille war nicht aus der Angst heraus geboren worden, sondern aus der Ehrfurcht. Wie lange war über dieses Phänomen gesprochen worden. Viele hatten es erhofft, die wenigsten erwartet. Nun aber standen sie dicht vor der großen Wahrheit.
    Sie stoppten, nachdem sie einen Kreis um den Sarg gebildet hatten. Jeder schaute hinein, jeder sah das Gleiche, und die ersten Kommentare drangen über die Lippen.
    »Sie ist tot und nicht verwest!«
    »Wie schön sie ist!«
    »Wie eine Fee!«
    »Nein, wie eine Königin!«
    Sätze wie diese hatten auch die letzten Mauern der Furcht niedergerissen. Jetzt trauten sich auch die Männer näher. Schon bald hatte sich ein dichter Menschenpulk um den schlichten Sarg herum gebildet.
    Jeder wollte es sehen, keiner wollte abseits stehen. Aber niemand konnte die Wahrheit richtig fassen. Manche fühlten sich wie vor den Kopf geschlagen. Es gab Menschen, die ihre Hände gegen die Gesichter gepresst hatten und nur die Lippen freiließen, um flüsternde Kommentare abzugeben.
    Stimmen mischten sich zusammen und wurden zu einem Wirrwarr. Keiner achtete mehr auf die Umgebung. Niemand schaute hoch in den Himmel, wo das Wetterleuchten die Wolkenformationen nachzeichnete und die Ränder gelbweiß aussehen ließ.
    Dort oben tobte der Wind. Er hatte die Wolken zu Geistern werden lassen, die durch seine Kraft in Ekstase geraten waren. Er war wie eine Warnung an die Menschen, die niemand im Tal hören wollte.
    Für sie gab es nur die Frau.
    »Ein Wunder!« rief eine schrille Stimme. »Es ist ein Wunder geschehen…«
    Eine Frau brachte es auf den Punkt und sprach das aus, was alle dachten.
    »Ludmilla ist eine Heilige! Ja, sie ist eine Heilige!«
    Jeder hatte es gehört. Es gab keinen, der protestierte. Wirklich keinen?
    In der eingetretenen Stille war die Männerstimme doppelt so laut zu hören. »Nein! Nein, ihr Narren! Sie ist keine Heilige. Sie ist das Gegenteil. Sie ist ein Monster…«
    ***
    Jetzt war es heraus. Niemand hatte den Sprecher kommen gehört. Niemand hatte ihn gesehen. Er hielt sich hinter ihrem Rücken und zudem im Schutz der Dunkelheit auf.
    Es wurde still - totenstill nach diesen Worten. Keiner wagte, seinen Mund zu öffnen. Niemand würde auch einen Widerspruch über die Lippen bringen. Nicht weil sie damit nicht einverstanden gewesen wären, die Menschen waren einfach zu schockiert, so etwas hören zu
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