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1137 - Madame Tarock

1137 - Madame Tarock

Titel: 1137 - Madame Tarock
Autoren: Jason Dark
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uns geehrt«, sagte Harry spöttisch.
    Otto E. ging nicht darauf ein. Er bewegte sich nach links, damit er jetzt vor seinem noch immer verdeckten Kunstwerk stand.
    Das Tuch war nicht eben sauber. Überall verteilten sich Farbflecken. Wir schauten zu, wie Otto E. es mit spitzen Fingern anfasste, um es dann langsam, sehr langsam von seinem Werk zu entfernen.
    Sein Handeln glich schon einem feierlichen Akt. Als sich das Tuch dann zu Buden senkte und Otto E. wieder herangezogen wurde, sagte er mit Flüsterstimme: »So, das ist es. Hier schaut es euch an…«
    Wir blickten hin und konnten zunächst keinen Kommentar abgeben, denn viel war auf der Leinwand nicht zu sehen. Dieses Bild stand im krassen Gegensatz zu den anderen, die farblich so grell gemalt worden waren. Hier herrschten braune und beige Farben vor, wobei die dunklere Farbe die Umrisse nachzeichnete.
    »Wie gesagt, es entstammt nicht meiner Phantasie. Ich habe es nachgezeichnet…«
    »Schon gut«, sagte ich und ging etwas in die Knie, denn so konnte ich mir das Bild besser anschauen.
    Die linke Seite war nicht frei, aber dort standen nur zwei Personen in langen Gewändern. Wen sie darstellen sollten, war nicht genau zu erkennen. Da musste man schon raten. Sie kamen mir vor wie Weise oder wie Götter. Um ihre Körper hingen weit geschnittene Gewänder. Beide schienen in ein Gespräch vertieft zu sein, und beide deuteten mit ihren Händen auf die rechte Seite des Bildes.
    Dort waren ebenfalls Personen zu sehen, die dicht gedrängt standen. Sie waren nackt. Männer und Frauen, und sie wirkten wie Flüchtlinge, die irgendwohin gehen sollten. Zu einem Ziel außerhalb des Bildes.
    Sie waren auch in Bewegung und schauten sich zu den beiden Bekleideten hin um.
    Neben mir stöhnte Harry Stahl leise auf. »Sieh die das genau an, John. Schau genau hin. Das ist Wahnsinn - echt!«
    Ich wusste, was er damit meinte.
    Es waren nur auf den ersten Blick normale Menschen, nicht auf den zweiten. Sie gingen zwar weg, aber sie hatten ihre Köpfe nicht nur leicht gewandt, um über ihre Schultern hinwegsehen zu können.
    Bei ihnen war es anders.
    Bei diesen Gestalten waren die Köpfe um hundertachtzig Grad gedreht worden.
    Sie gingen nach vorn, aber sie schauten zurück…
    ***
    Genau das war das Geheimnis des Gemäldes, und nicht nur ich hatte einen roten Kopf bekommen, als ich mich wieder aufrichtete.
    Otto E. schaute Harry und mich an. Er lächelte, und es war ein wissendes Lächeln.
    »Habt ihr alles gesehen?« fragte er.
    »Bestimmt.«
    »Ich habe es für sie gemalt.«
    Harry räusperte sich, bevor er sprach. »Was wollten Sie damit erreichen? Warum hat Zingara Ihnen dieses Motiv vorgegeben? Was hat das zu bedeuten?«
    »Es ist die Wahrheit des ausgehenden Mittelalters. Dort haben sich die Menschen intensiver mit gewissen Themen befasst, auch mit den Wahrsagern und Wahrsagerinnen. Ein Künstler hat es gemalt, der ebenfalls einen tiefen Einblick hatte…«
    »Hat er diesem Bild, das von Ihnen ja wohl kopiert wurde, auch einen Titelgegeben?«
    »Ja, das hat er. Es ist der Weg der Verdammten.«
    »Sie sind also verdammt?«
    »Ja.«
    »Wozu und warum?« fragte Harry.
    »Man hat Wahrsager nicht gemocht. Das Bild ist ein Teil von Dantes Höllenversion. Er hatte den großen Durchblick. Alle Wahrsager, ob Mann oder Frau, waren dazu verflucht, ewig rückwärts zu blicken, wenn sie in die Verdammnis mußten.«
    Das war es also. Ein Teil des Vorhangs war angehoben worden.
    Ich blickte mir das Bild noch einmal genauer an und konnte mir auch vorstellen, wie Zingara ausgesehen hatte. Von Harry bekam ich die Bestätigung, ohne ihn darauf angesprochen zu haben.
    »So habe ich sie erlebt, John, mit dem Gesicht nach hinten.«
    »Ich glaube dir.«
    »Seid ihr nun zufrieden?« fragte der Maler. Er hängte das Tuch wieder über sein Werk. »Ihr habt das gesehen, was nur wenige Menschen zu Gesicht bekommen, und darauf könnt ihr stolz sein.«
    Ob wir das unbedingt sein mussten, bezweifelte ich. Aber die Verbindung zu Madame Tarock war mir nicht ganz klar, und danach fragte ich Otto E.
    Der hörte mir genau zu, um schließlich den Kopf zu schütteln. »Denkt ihr wirklich nicht weiter?« flüsterte er. »Auch Zingara ist eine Wahrsagerin.«
    »Verstanden«, sagte ich. »Da sie jedoch ihren Kopf drehen kann, muss sie noch mehr sein.«
    »Was denn?«
    »Eine Verfluchte.«
    Der Maler lachte. Es klang sehr verlegen.
    Ich war noch nicht fertig. »Sie ist nicht nur eine Verfluchte, Otto E. sie muss auch noch
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