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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn
Autoren: Ingo Behring
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passiert dort bei normaler Kindeslage das, was in Brasilien bei der Rohrzuckerernte nicht selten auf dem Feld vollzogen wird. Nur aufwendiger und mit mehr «Tamtam» vorweg und hinterher (sogar bis ins Esoterische hinein). Folglich gingen mein Kollege und ich ohne große Anspannung zum Rettungswagen und schickten der Leitstelle per Knopfdruck am Funkgerät die Information, dass wir zu dem Notfall ausrücken würden.
    «Kann ja nicht so schlimm sein, die Leitstelle hätte sonst einen Notarzt mitgeschickt. Immer diese Taxifahrten, die sich die Schwangeren damit ersparen», brummelte Manni.
    Am Wagen zog ich mir meine rote Jacke an.
«
Tja, wenigstens haben wir nicht schon bestellt», sagte ich. «Der Pizzabäcker wäre bestimmt knatschig geworden, hätten wir die Calzone nicht abgeholt.»
    Mit Blaulicht und an den erforderlichen Stellen auch mit Martinshorn fuhren wir Richtung Eggeweg. An den Kreuzungen mussten wir ein paar Autos «beiseite schubsen», wobei aber auf dieser Tour die Fahrer angemessen reagierten. Manchmal ist es schier unglaublich, wie für einige Verkehrsteilnehmer eine rote Ampel zur imaginären Betonmauer werden kann. Wir stehen dann mit brüllendem Horn hinter einem Wagen, die Einsatzdisco blitzt wie blöde, man kann mit dem Fernlicht blinken und zusätzlich hupen, und trotz der nicht zu übersehenden Tatsache, dass der gesamte Querverkehr auf unseren Auftritt hin wohlwollend die Kreuzung freihält: Der Autofahrer vor uns wirft verzweifelt die Arme in die Luft, sein Pkw bleibt wie festgetackert stehen und schiebt sich keinen Millimeter an dem in der Ampel glühenden 40 -Watt-Birnchen vorbei. Dabei sind die meisten Kreuzungen so markiert, dass man hinter der Haltelinie noch etwa fünf Meter Platz hätte, um sein Auto etwas an die Seite zu bugsieren, ohne in den Bereich des ohnehin wartenden Querverkehrs zu geraten. Ich könnte regelmäßig ins Armaturenbrett beißen …
    Nun gut, dieses Mal ließ man uns ziehen.
    Manni war etwas nervös:
«
Na, da bin ich ja gespannt, ob es wirklich so dringend ist, wie der zukünftige Vater behauptet hat. Nicht, dass die uns auf dem Weg ins Krankenhaus ein Kind ins Auto legt!»
    «Wenn es so aussieht, als wenn es wirklich gleich losgehen könnte, holen wir den Notarzt dazu und schieben die werdende Mutter für den Transport verkehrt herum ins Auto. Dann haben wir um die Beine herum mehr Platz zum Arbeiten.»
    Normalerweise werden Patienten mit dem Kopf in Fahrtrichtung transportiert. Am Kopfende der Trage (also in Fahrtrichtung vorne) befindet sich im Patientenraum der Medikamentenschrank sowie eine Fläche zum Ablegen und Vorbereiten von Geräten und Arzneimitteln. Außerdem kann man dort den eingebauten Sitz hochklappen und hat so jede Menge Platz. Aus diesem Grund ist die Front des Patientenraums für eine eventuelle Geburt vorteilhafter als das hintere Ende, das durch Einbauten eingeengt ist. Außerdem schließt sich am Ende der Trage sofort die Tür an, sodass man nur wenig Freiraum hätte, um bei der Geburt zu helfen. Aber so weit war es bei meinen Einsätzen noch nie gekommen.
    Wir fuhren an der angegebenen Adresse, einem mehrstöckigen, etwas marode wirkenden Stadthaus der vorletzten Jahrhundertwende, nach etwa drei Minuten vor. Ich klemmte mir den Notfallkoffer unter den Arm, der Infusionen, einige Medikamente, Verbandmaterial, Messgeräte, eine Blutdruckmanschette sowie den Defibrillator enthielt. Manni schulterte den Beatmungsrucksack und nahm zusätzlich den «Kinder-Notfallkoffer» mit. In diesem befinden sich neben Beatmungsbeutel und -masken «in klein» unter anderem verschiedene Sachen zur Geburtshilfe, etwa OP -Tücher, Nabelklemmen, Schere, Skalpell und Windeln. Wir rechnen zwar nie damit, ihn zu gebrauchen, aber man muss schließlich vorbereitet sein.
    Die Haustür stand offen, in der Wohnung im ersten Stock empfing uns ein etwas hektisch agierender Mann, Mitte dreißig, also ähnlich alt wie Manni, der uns schwitzend mit den Armen entgegenfuchtelte.
    «Guten Abend, Feuerwehr. Haben Sie uns gerufen?», meldete ich uns höflich an, denn nicht jede Tür, in der jemand steht, wenn wir auftauchen, führt uns zum Notfall. Neugierige Nachbarn neigen dazu, erwartungsvoll vor ihren Wohnungen zu stehen, um herauszufinden, was man weitertratschen könnte. Daher fragen wir immer vorsichtig nach.
    «Gehen Sie durch, schnell!», rief der Mann. «Meine Frau ist im Wohnzimmer!»
    Aus dem schallte ein Geräusch, das ich eigentlich nicht hören wollte: das für
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