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109 - Die Atemdiebin

109 - Die Atemdiebin

Titel: 109 - Die Atemdiebin
Autoren: Bernd Frenz
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brauchte doch nur ihre eingefallenen Wangen und die unnatürlich bleiche Haut anzusehen, um zu wissen, dass sie seit Tagen nichts in den Magen bekommen hatte. Alaan stopfte sich Erdknollen und Rührei in den Mund.
    Während er jeden Finger einzeln ableckte, überlegte er, wie er die Frau erneut ansprechen konnte, ohne ihren Stolz zu verletzen. Er wusste, dass er jung genug war, um ihr Interesse zu erregen. Er stank auch nicht aus dem Mund wie einige andere Gäste, besaß noch alle Zähne, trank in Maßen und hatte keinen Wanst, der sich über den Gürtel wölbte. Sein schulterlanges blondes Haar, das er regelmäßig kämmte, lud viele Frauen dazu ein, mit den Fingern hindurch zu fahren, sich auf seinen Schoß zu setzen oder auch das Lager mit ihm zu teilen.
    In Liion gab es so einige, die fest in Alaans Hütte ziehen mochten, denn er galt als geschickter Lischettenjäger, der Weib und Kind ernähren konnte. Bisher hatte er noch keine Entscheidung gefällt, aber diese Frau interessierte ihn. Sie strahlte etwas Ungewöhnliches aus, das sich nicht in Worte fassen ließ, das sie aber von anderen Barbarinnen in Liion unterschied.
    So überwand er seine anfängliche Scheu und setzte erneut an: »Alles begann mit den fünf Jägern, die nie mehr zurückkehrten.«
    »Was?« Erschrocken sah sie ihn an. Alaan unterdrückte ein Lächeln. Na, wunderbar! Er hatte ihre volle Aufmerksamkeit.
    »Dieser Dämon, der des Nachts den Atem stiehlt.« Er konnte sehen, wie sie bei diesen Worten erschauerte. »Er tauchte erst auf, nachdem einige Jäger aus Liion spurlos verschwunden sind. Die Alten glauben, Orguudoo hätte seine Erdwürmer ausgesandt, um sie zu verschlingen. Direkt aus den Tiefen der Unterwelt wären sie gekommen und hätten dabei den Weg für etwas gebahnt, das nicht in diese Welt gehört.«
    Die Fremde erbleichte weiter. »Ach, ist doch alles Altweibergeschwätz«, winkte Alaan beruhigend ab.
    »Es heißt, diese seltsame… Krankheit beträfe nur böse Menschen«, wandte sie plötzlich ein. Aha, sie trieb sich also schon länger in der Stadt herum.
    »Na ja.« Alaan zuckte mit den Schultern. »Was heißt schon böse? Die fünf Jäger waren gute Gefährten.«
    »Niemand weiß, ob sie Opfer des Atemdiebs wurden!«, schnappte sie.
    »Schon richtig.« Alaan griff zu der Lischette, verspürte aber keinen Hunger mehr und ließ sie auf den Teller zurück sinken.
    Plötzlich gingen ihm einige Tote und Gealterte durch den Sinn, die ihm bekannt waren. So wie Mondo der Baumfäller, der jeden Tag Weib und Kind blutig geschlagen hatte, bis er abgemagert und in sich zusammengefallen aufgefunden worden war, mit schlohweißem Haar wie ein Greis. Um den war es sicher nicht schade, genauso wenig wie um einige andere Lügner und Betrüger. »Aber es gibt auch welche, die es sicher nicht verdient haben. Etwa Elon, der Fischer von der Halbinsel. Es soll ihm zwar schon wieder besser gehen, aber er wird wohl nie mehr der Alte sein. Nach einem Tag auf dem Wasser klagt er über Schmerzen in den Knien wie ein alter Mann. Dabei ist er nicht viel älter als ich.«
    Feine Schweißperlen glitzerten auf, als sich die Stirn der Fremden in Falten legte. »Der Fischer?«, fragte sie. »Hat der nicht seine Ehefrau ertränkt und keiner kann es beweisen?«
    »Behauptet sein Weibesbruders.« Alaan schnaufte verächtlich. »Andere sagen, der wäre es selbst gewesen, weil er zu seiner eigenen Schwester ins Lager stieg und sie gedroht hätte, es allen zu erzählen. Wer weiß schon, was von solchem Geschwätz wahr oder falsch ist?«
    Die Fremde setzte zu einer Antwort an, doch im gleichen Moment brach nur wenige Schritte entfernt lautes Gebrüll aus, dass das ganze Bistroo erfüllte. Alaan ahnte schon, um was es ging, noch ehe er sich umwandte.
    Natürlich Golluk, wer sonst? Wie immer angetrunken und zu Streit aufgelegt.
    Beide Ellenbogen auf den Tresen gestützt, seinen Kopf weit vorgereckt, schrie er gerade auf die Schankmagd ein. »Kannst du nicht aufpassen, wenn du den Becher abstellst, du Schlampe? Sieh dir bloß die Sauerei an! Mein Ärmel ist ganz feucht!«
    Neben ihm schwappte tatsächlich Brabeelenwein aus einem rot bedruckten Glas, das einen verblichenen Schriftzug trug, von dem nur noch die Zeichen oca-Col geblieben waren. Ob die Pfütze aber wirklich auf Phiins Missgeschick zurückzuführen war oder auf seine nachlässige Ess- und Trinkweise, stand noch in Frage. Von seinen fleischigen Fingern, mit denen er den Hinterlauf eines Gerul hielt, troff das
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